Freie, vorherige und informierte Konsultation nicht "bloß Formalität"

Das Recht auf freie, vorherige und informierte Konsultation (auf englisch kurz: FPIC) indigener und weitere traditioneller Völker ergibt sich in den Staaten wie Brasilien, die die ILO-Konvention Nr. 169 zum Schutze der Rechte der indigenen Völker ratifiziert haben, aus der jeweiligen im Lande an die Konvention angepasste nationale Gesetzgebung. Das Recht auf vorherige, freie und informierte Konsultation der indigenen Völker ist entsprechend in der brasilianischen Bundesverfassung verankert, insbesondere in Artikel 231, in dem die ursprünglichen Rechte der indigenen Völker auf das von ihnen traditionell bewohnte Land anerkannt werden, und in Artikel 232, der die Beteiligung der indigenen Völker an Fragen, die sie betreffen, garantiert. Doch allzuoft erfolgt die Rechtsauslegung des Wesensgehaltes dieser Artikel auf die formale Durchführung von Konsultation in Form öffentlicher Anhörungen.
Dazu hat die brasilianische Menschenrechtsorganisation Terra de Direitos eine neue Fachstudie vorgelegt, in der sie darlegt und kritisiert, warum die Konsultation betroffener indigener oder weiterer traditioneller Völker und Gemeinschaften nicht als "bloße Formalität" abgehandelt werden darf. Als anschauliches Fallbeispiel dazu diente der NGO bei der Vorstellung der Studie in den Räumlichkeiten der Bundesstaatsanwaltschaft in Belém, Pará, der aktuelle Fall der Landesregierung von Pará mit ihrem Vorschlag für die Einführung eines Carbon-Emissions-Handelssystem im Rahmen von REDD+ im Bundesstaat Pará und bei der Umweltgenehmigung von Hafenanlagen in der Region des Tapajós-Flusses, ebenfalls in Pará.
"Die Umsetzung des Redd+-Systems durch den Bundesstaat Pará stellt den Vorschlag dar, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren, und verspricht gleichzeitig, dass ein Teil der finanziellen Mittel aus dem Verkauf an die Territorien gehen wird. Dieses Modell zur Emissionsreduzierung bringt jedoch eine Reihe von Beschränkungen und Einschränkungen für die Verwaltung der Nutzung der Gebiete und die Autonomie der Gemeinschaften mit sich, die im Lichte des Rechts auf eine freie, vorherige und informierte Konsultation nach Treu und Glauben analysiert werden müssen", heißt es in einem Abschnitt der Studie. Denn die NGO Terra de Direitos sieht den Wesensgehalt der Bestimmungen für die freie, vorherige und informierte Konsultation durch die herrschende Praxis als gefährdet an.
Die Autor:innen der Studie sehen vielmehr grundlegende Kriterien für die Durchführung der Konsultation. In der Studie werden die spezifischen Kriterien aufgeführt, die laut juristischer Interpretation der Rechtsanwält:innen von Terra de Direitos erfüllt sein müssen, damit davon ausgegangen werden kann, dass die in der ILO-Konvention 169 vorgesehene Konsultation durchgeführt wurde:
- Vorherige Konsultation: Die Konsultation muss vor jeder Verwaltungs- oder Gesetzgebungsphase eines Projekts stattfinden, das sich auf die Gemeinschaften auswirken kann, und ihnen die Möglichkeit geben, ihre Meinung zu äußern, zuzustimmen oder nicht, und Abhilfemaßnahmen vorzuschlagen.
- Freie Konsultation: Gemeinschaften dürfen nicht gezwungen oder benachteiligt werden. Sie müssen völlig autonom über ihre Zukunft entscheiden können, wozu auch das Recht gehört, ein Veto gegen den Vorschlag einzulegen, um eine echte Zustimmung zu gewährleisten.
- Informierte Konsultation: Es ist wichtig, dass die Gemeinden alle notwendigen Informationen über die Risiken, Auswirkungen und Vorteile des Projekts im Voraus und in klarer und verständlicher Form erhalten, damit sie eine fundierte Entscheidung treffen können.
- In gutem Glauben: Der Konsultationsprozess muss fair und transparent sein, ohne dass grundlegende Rechte (wie Landtitel, Gesundheit oder Bildung) von der Projektgenehmigung abhängig gemacht werden. Soziale Ungleichheiten dürfen nicht ausgenutzt werden, um eine Zustimmung zu erhalten.
- Wessen Konsultationsprotokoll? Die Konsultation muss nach den richtigen Protokollen erfolgen: Bei der Konsultation müssen die von den Gemeinschaften selbst festgelegten Methoden, Pläne und Verfahren eingehalten werden, um ihre Selbstbestimmung und die Achtung ihrer Lebensweise zu gewährleisten. Die Missachtung dieser Protokolle verletzt das Recht der Gemeinschaften zu bestimmen, wie sie angehört werden wollen.
Die NGO Terra de Direitos fordert in der Studie, dass der Bundesstaat Pará die Durchführung der FPIC gemäß der ILO-Konvention 169 für alle traditionellen Völker und Gemeinschaften, die von der Umsetzung des Redd+-Systems betroffen sein werden, anerkennt und garantiert. Der Gesetzgebenden Versammlung des Bundesstaates von Pará wird empfohlen, die Anwendbarkeit des Rechts auf FPIC grundsätzlich und vollumfänglich anzuerkennen und Gesetzesinitiativen zu unterbinden, die darauf abzielen, dieses Recht in einer Weise einzuschränken oder zu regulieren, die seine Wirksamkeit untergräbt oder auch zu verhindern, dass Vorschläge vorangetrieben werden, die die territorialen, kulturellen und sozialen Rechte der traditionellen Völker und Gemeinschaften verletzen. In der Studie wird zudem empfohlen, dass die nationalen und staatlichen Menschenrechtsräte die potenziellen Menschenrechtsverletzungen infolge der Umsetzung von REDD+ und des Hafengenehmigungsverfahrens in Tapajós überwachen und den Schutz der traditionellen Völker und Gemeinschaften gewährleisten müssen. Schließlich empfiehlt die Studie, dass allen traditionellen Völkern und Gemeinschaften im Staate das Recht auf freie, vorherige und informierte Konsultation garantiert werde, so dass sie vor jeder Verwaltungs- oder Gesetzesmaßnahme, vor jedem Projekt oder Programm, das sich auf ihr Leben, ihre Lebensweise und ihr Territorium auswirken könnte, vollumfänglich angehört und respektiert werden und ihre Beteiligung umfassend gewährleistet ist.