Ex-Folterer müssen blechen

Richterin verurteilt Ex-Folterer der Militärdiktatur zur Strafzahlung von je 1 Million Reais als "Gutmachung" an die brasilianische Gesellschaft. Das Urteil fiel im Zivilrecht, da das Amnestiegesetz von 1979 noch immer die strafrechtliche Aufarbeitung der Verbrechen gegen die Menschlichkeit verhindert. Dennoch ist es ein Zeichen einer zwar langsamen, aber voranschreitenden transitional justice in Brasilien.
| von Christian.russau@fdcl.org
Ex-Folterer müssen blechen
Ex-DOI-CODI-Gelände in São Paulo. Foto: christian russau

Dirceu Gravina (bekannt unter dem Codenamen "Jesus Cristo" oder nur kurz "JC"), Aparecido Laertes Calandra (bekannt als "Doutor Ubirajara") und David dos Santos Araújo ("Capitão Lisboa") müssen je eine Million Reais (derzeit rund 175.000 Euro) als "Gutmachung" an die brasilianische Gesellschaft zahlen. Dies entschied vor wenigen Tagen die Richterin an der siebten Zivilbundeskammer São Paulo, Diana Brunstein. Die Strafzahlung erfolgt als "Wiedergutmachung" in einen staatlichen Fonds, den Fundo de Direitos Difusos, der der Allgemeinheit zugute kommt. Dieser Fonds zur Verteidigung sogenannter diffuser Rechte dient der Wiedergutmachung von Schäden, die der Umwelt, den Verbrauchern, Gütern und Rechten von künstlerischem, ästhetischem, historischem, touristischem und landschaftlichem Wert, Verstößen gegen die Wirtschaftsordnung und anderen diffusen und kollektiven Interessen zugefügt wurden. Dies berichtet Congresso em foco auf ihrer Internetseite.

Die Richterin sah es in ihrem Urteil als erwiesen an, dass die Beklagten während der Zeit der brasilianischen Militärdiktatur (1964-1985), vor allem während der sogenannten "bleiernen Jahre" (1968-1975) im Folterzentrum DOI-CODI in der Rua Tutoia in São Paulo gefoltert und gemordet haben. Unter den Opfern befanden sich unter anderem der Journalist Vladimir Herzog und der Metallarbeiter Manoel Fiel Filho. Die Richterin folgte zwar nicht der Anklage der Staatsanwaltschaft, die Entschädigungszahlungen für die Angehörigen der Opfer gefordert hatten. Die Richterin argumentierte, über die staatliche Amnestiekommission seien bereits Zahlungen seitens des Staates an die Opfer beziehungsweise deren Angehörigen erfolgt. Nun gehe es darum, die Täter:innen zur Verantwortung zu ziehen, so halte sie es für "gerechtfertigt", die Folterer zu verurteilen, um "den kollektiven moralischen Schaden, den die brasilianische Gesellschaft erlitten hat", wiedergutzumachen. Anschließend verurteilt sie jeden von ihnen zur Zahlung von 1 Million R$. Die Beträge fließen nun in den Fonds für diffuse Rechte. Von Bedeutung ist bei dem Urteilsspruch zudem, dass er weiterhin die Gültigkeit des Amnestiegesetzes aus dem Jahre 1979 nicht antastet, sondern im Bereich einer Zivilklage verbleibt.

Seit 2012 unternehmen Bundesstaatsanwält:innen in Brasilien vermehrt Versuche, das Amnestiegesetz zu kippen. Um der Täter von damals noch juristisch habhaft zu werden, versuchen Staatsanwält:innen und Angehörige, das Amnestiegesetz durch verschiedene juristische Schachzüge auszutricksen: Sie argumentieren, da in den Fällen der Verhaftet-Verschwundenen die Opfer nie aufgetaucht seien, halte die Entführung an und ein fortwährendes Verbrechen müsse bestraft werden und falle nicht unter die Bestimmungen des Amnestiegesetzes. Doch bislang wurden diese Versuche von den zuständigen Gerichten bislang stets abgewiesen. Weitere juristische Versuche, das Amnestiegesetz zu kippen, zielen darauf ab, Folter und Mord während der Zeit der Militärdiktatur als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu bestrafen, doch auch diese Prozesse scheiterten bislang am Amnestiegesetz. 2010 hatte der Oberste Gerichtshof STF das Amnestiegesetz für gültig erklärt, wogegen die Rechtsanwaltskammer aber Berufung einreichte, ein Gerichtsverfahren, das also noch nicht vollkommen abgeschlossen ist. 2010 hatte der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof Brasilien aufgefordert, den Verbleib von mindestens 62 Ermordeten oder Verschwundenen der Araguaia-Guerilla aufzuklären und das Amnestiegesetz endlich zu annullieren, doch Brasiliens Oberster Gerichtshof sieht noch immer das Primat der brasilianischen Gesetzgebung. Nur im Zivilrecht war es bisher gelungen, einen Folterer zu verklagen: Die Familie Teles gewann vor Jahren den Zivilprozess gegen ihren Folterer Carlos Alberto Brilhante Ustra letztinstanzlich und erhielt dabei das Recht, den Folterer öffentlich als Folterer bezeichnen zu dürfen. Wichtig ist hierbei der Unterschied zu dem jetzigen Urteil: Bei der Klage der Familie Teles gegen ihren Folterer Ustra ging es um eine zivilrechtliche Feststellungsklage, den Folterer als Folterer bezeichnen zu dürfen. Das jetzige Urteil geht einen (kleinen, aber nicht unwichtigen) Schritt darüber hinaus: Das Urteil zwinge die Folterer, die Gesellschaft für die Verbrechen zu entschädigen, die sie in den Kellern der Diktatur begangen haben. "Es ist eine äußerst wichtige Entscheidung", erklärte der regionale Staatsanwalt Marlon Alberto Weichert, einer der Autoren der Klage, gegenüber Medien. "Der erste sehr wichtige Punkt ist, dass das Urteil erklärt, dass die drei Folterer waren, verantwortlich für Folter, Tod und Verschwindenlassen. Von nun an ist dies eine gerichtliche Bestätigung. Und es ist das erste Mal, dass dies in einer öffentlichen Zivilklage passiert ist".

"Die große Bedeutung der Entscheidung liegt in der Feststellung, dass die brasilianische Gesellschaft durch die Einführung der Folter als staatliche Praxis Schaden erlitten hat", so Staasanwalt Weichert. "Dies führt also zu einer Verurteilung wegen kollektiver moralischer Schäden." Die Klage stellte jedoch noch weitere Anträge, denen die Richterin nicht stattgab. Diese werden nun angefochten werden, so Weichert. Weichert geht davon aus, dass der STJ in seinem Urteil von 2020 bereits darauf hingewiesen hatte, dass die anderen Forderungen nach Entschädigung für die Familien und andere im Sinne einer individuellen Verantwortlichkeit der Folterer anwendbar seien. "In der Entscheidung des Obersten Justizgerichtshofs wurde bereits festgestellt, dass die von uns geforderten Maßnahmen möglich sind, wie z. B. die Kassation von Renten, dass die Straftaten nicht verjährt sind. Ich habe den Eindruck, dass die rechtlichen Hindernisse, die die Richterin jetzt ansprach, bereits vom Obersten Justizgerichtshof überwunden wurden." Gegen die anderen Anträge in der Klage werde es also Rechtsmittel geben. "In jedem Fall ist es ein grundlegender Präzedenzfall für Brasilien, sich tatsächlich für Gerechtigkeit in Bezug auf die von der Diktatur begangenen Verbrechen einzusetzen."

Die transitional justice in Brasilien schreitet also voran, wenn auch langsam.

// Christian Russau