"Esculacho": Erstmals Folterer in Brasilien öffentlich geoutet

<strong>Brasília.</strong> Demonstranten haben in Brasilien erstmals Folterer aus der Zeit der Militärdiktatur vor deren Wohnhäusern und Geschäften öffentlich geoutet. In São Paulo, Belo Horizonte, Belém und Porto Alegre zogen mehrere hundert überwiegend junge Demonstranten der <a href="http://levante.org.br/">Gruppe Levante Popular da Juventude</a> vor den Wohnhäusern der Folterer auf, um sie in deren Nachbarschaft öffentlich zu outen. Auf Transparenten und Plakaten nannten sie die Folterer beim Namen und beschrieben deren Verbrechen. Dies berichtet das <a href="http://brasildefato.com.br/node/9147">Magazin Brasil de fato</a> unter Berufung auf die Organisatoren der landesweit koordinierten Aktion.<br /><br />
| von Christian Russau


Die Demonstranten folgen mit dem "Esculacho" dem in Argentinien seit Jahren von Gruppen geübten Vorgang des sogenanten "escrache". Beim "escrache" werden die Wohnhäuser verantwortlicher Militärs meist mit Farbe und Mehl gekennzeichnet – manchmal trifft das Mehl auch einen der Folterer. Auch in Chile werden so Folterer aus der Zeit der Militärdiktatzur geoutet. In Chile wird das Outen der Folterer als "funar" bezeichnet. Funar kommt aus dem populären Slang Santiagos und bedeutet so viel wie „jemanden outen".

Nun haben die Demonstranten der Gruppe Levante Popular da Juventude in São Paulo den Folterer David dos Santos Araújo, den "Capitão Lisboa”, aus dem während der Militärdikatur berüchtigten Folterzentrum DOI-CODI, als Folterer geoutet. In Belo Horizonte demonstrierten sie vor dem Haus von Ariovaldo da Hora e Silva, der laut dem Menschenrechtsbericht "Brasil Nunca Mais" während der Militärdiktatur im DOPS im Bundesstaat Minas Gerais folterte. In Porto Alegre outeten die Demonstranten den Coronel Carlos Alberto Ponzi, den Ex-Chef des brasilianischen Inlandsgeheimdienstes SNI, dessen Auslieferung die italienische Justiz wegen des Verschwindens eines italienischen Staatsbürgers seit Jahren verlangt. In Belém protestierten die Demonstranten vor dem Haus von Adriano Bessa Ferreira, der zur Zeit der Militärdiktatur als Denunziant von mutmaßlichen Oppositionellen operierte und heutzutage laut Informationen der Levante Popular da Juventude, seinen Lebensabend als Dichter verbringt.

In Brasilien wurde bislang noch kein Mitarbeiter von Militär, Geheimdienst oder Polizei wegen Taten aus der Zeit der Militärdiktatur (1964-1985) strafrechtlich verurteilt. Zivilrechtlich wurde im Jahre 2008 der Coronel Carlos Alberto Brilhante Ustra von der 23. Zivilkammer in São Paulo verurteilt. Die Klage gegen Ustra hatte keine strafrechtliche Absicht, es ging damals allein um die zivilrechtliche Frage, ob der Folterer Ustra öffentlich als Folterer bezeichnet werden darf. Ustra war Ende 1972 Chef des berüchtigten Folterzentrums DOI-CODI (Sonderkommando für Informationsoperationen – Zentrum für Untersuchungen der inneren Verteidigung) in São Paulo. Maria Amélia de Almeida Teles und ihr Mann César Augusto Teles waren im Dezember 1972 festgenommen und ins Folterzentrum DOI-CODI in der Rua Tutóia in São Paulo gebracht worden, wo sie laut ihrer Aussage von Ustra gefoltert wurden. Die Schwester Amélias und die beiden kleinen Kinder des Ehepaars, vier und fünf Jahre alt, wurden ebenfalls dorthin verbracht. Die Schwester, Criméia de Almeida, damals schwanger im siebten Monat, wurde gefoltert. Den Kindern wurden die Eltern gezeigt, die wegen der erlittenen Folter laut Aussage der Kinder nicht wiederzuerkennen waren, obschon sie wussten, dass es ihre Eltern waren, so die Aussage des Sohnes, Edson Teles. Der ebenfalls verhaftete Carlos Nicolau Danielli, damals führendes Mitglied der verbotenen Kommunistischen Partei von Brasilien, PC do B, wurde im DOI-CODI zu Tode gefoltert.

Hingegen strafrechtlich belangt worden ist bislang kein brasilianischer Militär, da das seit 1979 geltende Amnestiegesetz  die strafrechtliche Aufarbeitung aller Menschenrechtsverbrechen, die vor dem 15. August 1979 begangen wurden, verhindert. Vor knapp zwei Jahren hatte der Oberste Gerichtshofs Brasiliens (STF) die Gültigkeit des Amnestiegesetzes erneut bestätigt. Vor kurzem war neuer Schwung in die Debatte um das Amnestiegesetz gekommen. Die brasilianische Bundesstaatsanwaltschaft hatte Mitte März Anklage gegen einen Militärangehörigen gefordert wegen der Entführung von fünf Oppositionellen im Jahre 1974, deren Verbleib bis heute ungeklärt ist. Da das Amnestiegesetz die juristische Aufarbeitung des Falles eigentlich verhindert, versuchte die Staatsanwaltschaft, das Amnestiegesetz durch einen juristischen Schachzug zu umgehen. Die Staatsanwälte argumentierten, da die Opfer nie aufgetaucht seien, halte die Entführung an – und ein fortwährendes Verbrechen müsse bestraft werden. Der zuständige Richter wies das Ansinnen in erster Instanz ab – aber die Staatsanwaltschaft geht in Revision. Laut Informationen der Tageszeitung Folha de São Paulo planen Bundesanwälte weitere Klagen gegen Ex-Militärs wegen 24 Fällen von Verschwundenen während der Zeit der Militärdiktatur.