Das Projeto Nova Cartografia Social Amazônia (PNCSA) stärkt Autonomie von traditionellen Völkern und Gemeinschaften

KoBra folgte Anfang März der Einladung des Projekts Nova Cartografia Social Amazônia nach Manaus im Bundesstaat Amazonas. Das Projekt ist an der Universität UEA von Manaus angesiedelt und wird von Professor Alfredo Wagner koordiniert. Parallel dazu gibt es weitere sozialgeografische Forschungsschwerpunkte in anderen Bundesstaaten, z.B. Maranhao und Pará.
| von Uta Grunert
Das Projeto Nova Cartografia Social Amazônia (PNCSA) stärkt Autonomie von traditionellen Völkern und Gemeinschaften
Lehrerin Carol und Cacique Astério Martins mit dem Kartenwerk, Foto: Uta Grunert

Das umfangreiche Exkursions-Programm führte in drei verschiedene indigene aldeias im Umfeld der Millionenstadt Manaus. Die interaktive Kartenerstellung der Geografen mit den stadtnahen comunidades bietet indigenen Gruppen oder anderen kollektiven Identiäten ein wirksames Instrument zur Selbstverortung. Auf einer Karte repräsentiert, werden sie wahrgenommen und können teilweise ihre territorialen Rechte auf der Basis von kartiertem Material im brasilianischen Bürokratiedschungel durchsetzen.

In der Comunidade Nossa Senhora do Livramento stellt die sozialkartografische Arbeit des PNCSA die Basis für eine Publikation und Dokumentation der indigenen Spielen dar, die im April 2018 erscheinen wird. Im vergangenen Jahr hatte die aldeia an der Universität angefragt, ob sie für die Spiele gemeinsam eine Karte erarbeiten könnten. In kürze wird die Dokumentation als bulletin zweisprachig erscheinen; auf Portugiesisch und auf Nhengatu, Zu den Spielen werden 500 Athlet*innen und etliche weitere Zuschauer*innen erwartet.  Für die aldeia bedeuten die Spiele und ihre Dokumentation eine wichtige Anerkennung und eine Errungenschaft im Kampf um gesellschaftliche Teilhabe. Das sportliche Treffen stellt eine Demonstration indigener Kultur und  neuem Selbstbewusstsein dar.

Gerade indigene Gruppen in Stadtnähe sind dem enormen Spagat zwischen der Tradition aus historischer, familiärer und kultureller Herkunft und der Konfrontation mit modernem Leben ausgesetzt. Smartphones und Internet gehören zur Grundausstattung in diesen Gruppen, Die Frage der Identität ist daher immer wieder neu zu klären.Welche Traditionen haben noch Relevanz? Welche Perspektiven bietet ihnen ein modernes Leben?

Gleichzeitig haben Karten und das Wissen um GPS und Geografische Informationssysteme eine enorme Wirkung. Sie bieten Indigenen in umkämpften Territorien die Grundlage, um autonom zu handeln. Ein bekanntes Beispeil hierfür sind die Munduruku am Rio Tapajós, die ihr Land autonom vermessen und begrenzt haben. Wenn Regierung und Verwaltung es trotz Rechtsgrundlage nicht schaffen, ihren Aufgaben mit Ausweisung und Demarkation von indigenen Territorien nachzukommen, bietet die neue Sozialkartografie die Möglichkeit zum Handeln – ehe Wirtschaftsunternehmen mit Land- oder Ressourceninteressen oder Regierungsvorhaben ihrerseits das Land in Besitz nehmen.

Schulische Bildung wurde bei allen Besuchen als fundamental wichtig beschrieben, um die jeweilige Sprache der Ethnie und die kulturellen Besonderheiten nicht zu verlieren. Am Rio Negro sprechen Hunderte von Indigenen 22 indigene Sprachen. Inzwischen sind sie auch auf Landkarten sichtbar!

Neben klassischem schulischen Basiswissen werden in den indigenen Schulen Hintergründe vermittelt, die indigene Rechte fundamental betreffen. Juristische Fragen, gesetzliche Grundlagen, indigene Administration und politische Zusammenhänge. Für ungeschützte Gruppen ist Fortbildung in diesen Bereichen überlebensnotwendig. Indigene Schulen können verschiedene Dimensionen haben. An manchen Orten gleichen sie kleinen Dorfschulen, wo eine Lehrerin sehr engagiert eine Gruppe betreut, in der eine Altersspanne vom Vorschulalter bis zu Erwachsenen unterrichtet wird. Es ist beeindruckend, was hier geleistet wird. Kontextualisierte Bildung stellt daher ebenfalls ein Instrument der Stärkung indigener und kollektiver Kämpfe dar.