"Sie sollten mit den Faschisten dieser Welt nicht mehr kooperieren"

KoBra dokumentiert die Rede von Christian Russau (Kritische Aktionäre, FDCL und KoBra) auf der VW-Hauptversammlung am 14. Mai 2019 in Berlin als Text- und Videodatei.
| von Kritische Aktionäre
"Sie sollten mit den Faschisten dieser Welt nicht mehr kooperieren"
Christian Russau bei seiner Rede. Foto: Kritische Aktionäre

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Christian Russau, ich bin Vorstandsmitglied des Dachverbands der Kritischen Aktionäre. Reden wir über eines der größten Auslandswerke von VW, São Paulo, Brasilien.
Wie Sie wissen, in Brasilien wurde Jair Bolsonaro zum Präsidenten gewählt. Ein erklärter Anti-Demokrat, jemand, der die Demokratie verachtet und sie letztlich zerstören möchte. Die Demokratie in Brasilien ist in schwerer Gefahr. Das hat auch mit Ihnen etwas zu tun.

In Brasilien ist die aktuelle Regierung derzeit aktiv daran beteiligt, die Arbeitsjustiz zu schleifen, gewerkschaftliche Organisierung wird massiv erschwert. Der IG-Metall-Vorstand hat unlängst einen Brief an sämtliche deutschen Betriebsräte veröffentlicht und geschickt. Der Tenor: Solidarität mit den brasilianischen Kolleginnen und Kollegen.

 

Was macht VW? Herr Renschler lobt einen Bolsonaro. Warum? Bolsonaro sagte: „Die Arbeiter in Brasilien müssen sich entscheiden zwischen Jobs oder Rechten!“ Das sollte kein Gegensatz sein. Leider ist es so. Und VW reibt sich die Hände und freut sich über sprudelnde Gewinne.

Die Unterstützung von Politikern in Brasilien, die sich explizit faschistisch betätigen und äußern, reicht aber noch weiter.

Kennen Sie Wilson Witzel? Wilson Witzel ist der neugewählte – ja, auch Faschisten werden gewählt, leider Gottes! – Gouverneur von Rio de Janeiro. Wilson Witzel sagt: „Linke müssen geköpft werden.“ Wilson Witzel lässt auf Favela-Bewohner*innen schießen. Mit dem Argument, die seien bewaffnet. Das würde man durchs Zielfernrohr erkennen. Die Sniper, die Scharfschützen der Polizei, zielen, schießen, setzen das in die Praxis um und hinterher stellt man fest, die Opfer hatten Bohrmaschinen oder einen Regenschirm unter dem Arm. Weil es regnet auch öfter in Rio.

Was hat das mit VW zu tun? Ich will es Ihnen sagen: Wilson Witzel war vor Kurzem in Deutschland, und der Leiter von VW Bus and Trucks [Brasilien], Roberto Cortes, ist daraufhin nach Deutschland geflogen, um Wilson Witzel zu treffen, grinsend in die Kamera zu schauen und ihm die Hände zu schütteln.

Ich frage Sie: Ist Herr Cortes auf Firmenkosten nach Deutschland gereist im März? Hat er es auf eigenen Antrieb getan? Oder gab es eine Anweisung dazu?

Ich will Ihnen noch etwas über Herrn Wilson Witzel sagen. Wilson Witzel hat sich letzte Woche in einen Helikopter gesetzt, vorher mit einem Video filmen lassen und gesagt, er werde mit den Banditen aufräumen. Der Helikopter ist über die Favela geflogen, die Scharfschützen der Polizei haben auf die Bewohnerinnen und Bewohner der Favela geschossen. Unter anderem wurde eine kleine Kirchengemeinde durchsiebt. Wilson Witzel wurde gerade vor der UNO angezeigt wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Brasilien liefert keine Brasilianerinnen und Brasilianer aus.

Und ein Roberto Cortes, Leiter von VW Bus and Trucks Brasilien, fliegt auf Firmenkosten nach nach Berlin, um Wilson Witzel die Hände zu schütteln. Das ist ekelhaft.

Und das Alles 50 Jahre nach der Kollaboration von VW do Brasil mit der brasilianischen Militärdiktatur. Die Mitarbeiter von VW do Brasil wurden durch VW do Brasil bespitzelt, diese Informationen wurden weitergereicht an die Geheimagenten der Repression. Die Mitarbeiter wurden verhaftet, gefoltert. Der Vorstand von VW do Brasil, Wolfgang Sauer, wusste damals Bescheid, andere wussten auch Bescheid. Es war bekannt, dass in den Polizeikasernen und den Gefängnissen in Brasilien gefoltert wird, und trotzdem wurden wissentlich und willentlich Informationen über die eigenen Mitarbeiter an die Repressionsorgane der brasilianischen Militärdiktatur weitergereicht. Christopher Kopper hat das in seinem Bericht, den Sie in Auftrag gegeben haben, sehr schön dargelegt, Sie aber haben daraus eine Einzeltäterthese gemacht, es sei nur der Werkschutz gewesen. Aber Guaracy Mingardi, der Polizeikommissar, der im Auftrag der Staatsanwaltschaft von São Paulo die Ermittlungen vorgenommen und in seiner Untersuchung dargestellt hat, er hat Dokumente gefunden, die belegen, dass Informationen über die Mitarbeiter weitergereicht wurden an die Repressionsorgane und zwar über den Schreibtisch von Herrn Wolfgang Sauer, den damaligen VW do Brasil-Präsidenten. Eine Einzeltäterthese ist dementsprechend nicht haltbar.

Kennen Sie Heinrich Plagge? Heinrich Plagge war langjähriger Mitarbeiter von VW do Brasil. 1972 wurde er in das Büro des VW-Managers Ruy Luiz Giometti gerufen. Dort warteten zwei Männer, die ihn sofort verhaftet haben. Er wurde ins Folterzentrum DOPS gebracht, dort 30 Tage lang schwer gefoltert. Ich beschreibe Ihnen jetzt nicht im Einzelnen Elektroschocks und Waterborarding etc, das erspare ich Ihnen und uns. Ein hochrangiger VW-Mitarbeiter ist am gleichen Tag der Verhaftung von Heinrich Plagge zum Hause von Heinrich Plagge gefahren und hat der Ehefrau von Herrn Plagge gesagt: „Herr Plagge kann heute leider nicht kommen, der musste kurzfristig auf Dienstreise für die Firma.“ Über einen Monat wusste die Ehefrau von Heinrich Plagge nicht, wo er war. Dann hat sie erfahren, dass er im Folterzentrum DOPS war.

VW hat sich bei Heinrich Plagge nie entschuldigt.

Am 6. März vergangenen Jahres ist Heinrich Plagge verstorben. Eine Entschuldigung hat er nicht mehr erleben dürfen.

Herr Diess. Herr Pötsch. Ich würde Sie bitten, sich in Erinnerung an Herrn Plagge zu erheben und in stillem Schweigen ihm zu gedenken. Wäre das möglich?


Diesen Respekt möchten Sie Herrn Plagge nicht bezeugen? Auch die anderen Mitglieder des Vorstands und Aufsichtsrat sind nicht bereit dazu, sich zu erheben?


Sehr verehrte Aktionärinnen und Aktionäre: Möchten Sie sich vielleicht erheben und sich an Heinrich Plagge erinnern?


Damit gehen Sie mit einem guten, menschlichen Beispiel voran.


Herr Pötsch: kann ich Ihr Stehen als das interpretieren, was es ist, das ich hoffe?


Ich danke Ihnen.

Sie sollten sich Ihrer historischen Verantwortung stellen, Entschädigungen zahlen, an die betroffenen Arbeiterinnen und Arbeiter und Sie sollten sich aus dieser ewigen Wiederholung der Geschichte, die erst einmal eine Tragödie ist und dann zur Farce wird, endlich verabschieden und mit den Faschisten dieser Welt nicht mehr kooperieren.

Vielen Dank.