Folter und Abschiebung, Widerstand und Amnestie

Ein kurzer Lebensbericht von Clemens Schrage über seinen politischen Widerstand zur Zeit der brasilianischen Militärdiktatur.
| von KoBra für die Initiative Nunca Mais – Nie Wieder
Folter und Abschiebung, Widerstand und Amnestie
Clemens Schrage (Photo: privat)

„Meine Familie wanderte 1950 nach Brasilien aus, als ich acht Jahre alt war. Nach dem Biologiestudium an der Universität von São Paulo (USP) arbeitete ich als Assistent am Lehrstuhl für Botanik der USP. Zu dieser Zeit schloss ich mich der im Untergrund operierenden Partei Ação Popular (AP) an, wo ich die klandestin arbeitende Zelle in der westlich der Metropolregion São Paulo liegenden Stadt Osasco koordinierte.
Mitglieder dieser Zelle waren neben anderen auch zwei katholische Priester und Ida Schrage, Diplompädagogin, später Mitbegründerin der brasilianischen Informationsfront in Deutschland. Damals arbeitete sie in Osasco als einfache Arbeiterin am Fliessband der Firma Osram. Sie wurde verhaftet und in Abwesenheit zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Diese geheim operierende Zelle war maßgeblich an der Organisation des Metallarbeiterstreiks in Osasco im Jahre 1968 beteiligt. Dieser Streik mündete in die Besetzung der Fabrik des Fahrzeugherstellers Cobrasma und war der erste Streik größerer Ausmaße nach dem Militärputsch von 1964. Infolge dieser Fabrikbesetzung und der Streikwelle in der ABC-Region im Süden São Paulos sowie die zeitgleiche Flucht des capitão Carlos Lamarca aus einer Kaserne in Oasaco mit einem LKW voller Waffen konzentrierten sich die Aktivitäten aller Repressionsorgane der Geheimdienste der Diktatur auf diese Region.
Im Februar 1969 wurde ich verhaftet und in der Heereskaserne von Ibirapuera in São Paulo einen Monat lang gefoltert. Ein deutschstämmiger Soldat der Heerespolizei erkannte mich und setzte das Deutsche Konsulat über meine Haft in Kenntnis, was wahrscheinlich mein Leben rettete.
Ich wurde zur DOPS verbracht, wo ich drei Monate nach meiner Festnahme erstmals konsularischen Besuch eines Konsulatsmitarbeiters bekam – als meine Verletzungen und Hämatome schon kaum mehr sichtbar waren.
Im August 1969 wurde ich per Präsidialdekret von Costa e Silva aus Brasilien ausgewiesen und lebte fortan wieder in meiner Geburtsstadt Köln.
Ich musste feststellen, dass die deutsche Bevölkerung und die europäischen Medien in vollständiger Unkenntnis über die brasilianische Realität jener Zeit waren. Das bewog mich, ausgehend von meinem konkreten Fall auf das ganze Ausmaß der Repression in Brasilien aufmerksam zu machen: Interviews mit den großen Radio- und Fernsehstationen wie der ARD aus Deutschland und weiteren aus Österreich und Großbritannien. Es kam zu Veröffentlichungen in DER SPIEGEL, in der BILD-Zeitung, in den linken Zeitschriften sowieso, auch in der Zeitschrift POGROM zum Beispiel.
Zusammen mit exilierten Brasilianern und europäischen Organisationen gründeten wir in mehreren europäischen Ländern die Brasilianische Informationsfront, die Frente Brasileira de Informações – FBI. Ziel der FBI war es, die brasilianische Diktatur in der Öffentlichkeit anzuprangern und dabei einen speziellen Fokus auf die Frage zu setzen, die ökonomische und soziale Realität des “Brasilianischen Wirtschaftswunder” der Zeit zu demaskieren und auf die enge Zusammenarbeit der Deutschen Bundesregierung mit der Brasilianischen Diktatur hinzuweisen, beispielsweise auf den deutsch-brasilianischen Atomvertrag, auf die Schulung von brasilianischen Polizisten in Deutschland.
Die Unterstützung durch die vielen Organisationen und Gruppen war dabei sehr wichtig. Dieses breite Bündnis aus Gruppen und Personen unterstützte die in Deutschland aus Brasilien ankommenden Diktaturflüchtlinge, auch die aus anderen lateinamerikanischen Staaten Geflohenen wie Chilenen, Argentinier, Uruguayer und anderen.
Im Jahr 1979 wurde in Brasilien die „Generalamnestie – also die volle und uneingeschränkte Amnestie“ – erklärt. Nur: Ich stand nicht auf dieser Liste. 1981 überreichte ein Journalist während des Staatsbesuchs des brasilianischen Präsidenten, João Figueirdo, diesem auf einem offiziellen Empfang ein Amnestiegesuch für meine Person. Das Gesuch wurde abgelehnt.
Meine Ausweisung aus Brasilien wurde erst im Jahre 1985 durch Dekret des brasilianischen Präsidenten José Sarney rückgängig gemacht.Diese erst só spät erfolgte Amnestie meiner Person interpretiere ich als Folge dessen, dass meine politischen Aktivitäten in Europa die Militärregierungen ernsthaft gestört haben.“
//  Clemens Schrage
Übersetzung: Christian Russau

Quelle: Nunca Mais Brasilientage – Das Programmheft, Seite 30-31

Clemens Schrage wird in Köln und Berlin an folgenden Veranstaltungen der Nunca Mais Brasilientage teilnehmen:

FR, 28. MÄRZ 2014 | 19:30 UHR | PODIUMSDISKUSSION | ORT: ALLERWELTSHAUS KÖLN, KÖRNERSTRASSE 77, 50823 KÖLN

BRASILIENSOLIDARITÄT – DAMALS UND HEUTE
ZEITZEUG_INNEN UND AKTEUR_INNEN IM GESPRÄCH
Eine Podiumsdiskussion mit Peter Klein, Clemens Schrage, Osmar Gogolok, Vera Behm und
Alexandre Schossler (Moderation)

 

Di, 1. April 2014, 20 Uhr | Ort: INO EISZEIT | ZEUGHOFSTR. 20, 10997 BERLIN

„O Dia que Durou 21 Anos” | The day that lasted 21 years (2012)
Regie: Camilo Tavares (73 min.), OmeU

Anschließend Diskussion mit dem Soziologen Dr. Luiz Ramalho und dem Zeitzeugen Clemens Schrage. Eine Veranstaltung der Freunde des Ibero-Amerikanischen Instituts e.V. im Rahmen der Nunca Mais Brasilientage.

 

SO, 6. APRIL 2014, 18:00 | ORT: WERKSTATT DER KULTUREN, BERLIN

BRASILIENSOLIDARITÄT – DAMALS UND HEUTE
ZEITZEUG_INNEN UND AKTEUR_INNEN IM GESPRÄCH: MIT MARIJANE LISBOA, HEINZ F. DRESSEL, OSMAR GOGOLOK, PETER KLEIN, CLEMENS SCHRAGE; MODERATION: LUIZ RAMALHO
Ort: Werkstatt der Kulturen | Seminarraum 1 | Wissmannstraße 32, 12049 Berlin
Sprache: Deutsch | Eintritt frei
Eine Veranstaltung des Weltfriedensdienst e.V., Berlin, im Rahmen der Nunca Mais Brasilientage