Zwei weitere Morde an Landarbeitern im Norden von Mato Grosso

Etwa um 9.30 Uhr des 16. Novembers 2005 wurden Vanderlei Macena Cruz und Mauro Gomes Duarte, Bewohner des Camps Renasçer getötet, als sie auf einem Motorrad auf dem Weg zur Arbeit waren.
| von Benjamin Bunk

Nach einem Bericht des örtlichen Büros der „Comissão Pastoral da Terra“ (CPT) wurden beide auf einer Straße gefunden, welche zwischen den Ländereien der Großgrundbesitzer Silmar Kessler und Sebastião Neves de Almeida (Chapeu Preto) verläuft. Als andere Bewohner des Camps, welche die Schüsse gehört hatten, vor Ort ankamen, waren beide bereits tot. Trotz sofortiger Benachrichtigung der örtlichen Militär-Polizei kam diese erst in der Nacht des selben Tages, um entsprechende Maßnahmen zu treffen und die Leichen zu untersuchen.

Das Gebiet wird als Gleba Gama bezeichnet und umfasst circa 16.000 Hektar. Theoretisch handelt es sich um ein öffentliches Gebiet, das dem „Bund“ gehört. Zur Zeit teilen sich das Gebiet aber circa 40 „Besitzer“, welche sich dessen auf illegale Weise bemächtigt haben. Der Großteil, 12.000 Hektar, befindet sich in der Hand von nur 6 Großgrundbesitzern.

Die Situation hatte sich verschärft, als das staatliche „Institut für Kolonialismus und Landreform“ (INCRA) im Dezember 2002 versuchte, sich das Land wieder anzueignen und es offiziell der Agrarreform und damit zur Besiedelung durch circa 360 „Familien“ zur Verfügung zu stellen. Daraufhin besetzten im Mai 2003 lokale Landlose einen Teil und gründeten das Camp „Renascer“ (Wiedergeburt). Solche Landbesetzungen sind eine übliche Vorgehensweise der verschiedenen Landlosenbewegungen, um die entsprechenden staatlichen Organe unter Zugzwang zu bringen und die längst versprochene Agrarreform anzugehen.

Die Großgrundbesitzer gründeten als Antwort das „Komitee für Landregularisierung“, erklärten sich bereit, sich gegen die Einmischung des INCRAs zu wehren, begannen sich zu bewaffnen und sowohl die Besetzer als auch lokale Sympathisanten massiv einzuschüchtern. Sie können auf die Unterstützung durch mehrere Landtagsabgeordnete bauen und besitzen nach eigenen Angaben inzwischen eine 150 Mann starke paramilitärische Schutztruppe.

Allein seit Juli 2005 kam es zu mehreren Vorfällen, welche sowohl die Untätigkeit der lokalen Behörden als auch die Verstrickung mit der Polizei verdeutlichten. Im Juli versuchten u.a. die oben bereits erwähnten Farmer, einige der Landlosen mit gefälschten Dokumenten zu vertreiben, obwohl es einen Gerichtsbeschluss gibt, dass alle bis auf weiteres auf den von Ihnen besetzten Ländereien zu verbleiben haben. Als circa 40 Familien der Landlosen sich weigerten, begannen 20 Personen der Miliz, die Besitztümer vor den Augen der Polizei zu zerstören. Unter diesem Druck verließen die Landlosen das Gebiet. Kurz darauf entfernte sich die Polizei, woraufhin die Farmer erneut begannen, die Landlosen einzuschüchtern. Dabei kam es zu schwerwiegenden Verletzungen, Schüssen und Todesdrohungen, bis letztendlich alle Landlosen, die noch nicht geflohen waren, auf Lastwagen verladen und später ausgesetzt wurden.
Einen Monat später konnten die Verdächtigen identifiziert werden, als diese vier weitere Ansiedlungen zerstörten.

Einen knappen weiteren Monat später kam es erneut zu Vertreibungen und massiven Körperverletzungen von Seiten der Farmer. Die Landlosen wurden mit Stacheldraht geschlagen. Diesen wiederum gelang es, eine Waffe an sich zu nehmen, deren Identifikation eindeutig auf eine Polizeiwaffe hindeutet.

Aufgrund der verschiedenen Menschenrechtsverletzungen und Verschlimmerung der Lage kam es zu einer Besichtigung durch die nationale Menschenrechtskommission des Präsidialamtes. In den verschiedenen Anhörungen und Besichtigungen der vier übrig gebliebenen Camps konnten die Vorwürfe bestätigt werden. Die Kommission äußerte sich sehr besorgt und forderte das INCRA, die regionale Justiz - aufgrund ausstehender Untersuchungen und Gerichtsprozesse - und die lokalen Behörden auf, umgehend Maßnahmen zu ergreifen, um eine Verschlimmerung der Lage zu verhindern. Bisher jedoch ohne Wirkung.

Die Vertreterin der CPT vor Ort musste aufgrund massiver Morddrohungen zeitweise das Gebiet verlassen. Nach Angaben des Bürgermeisters von Nova Guarita, selbst Ziel mehrerer Morddrohungen, kam es bis jetzt zu sechs Todesfällen in Folge des Konflikts um Gleba Gama.

Die Geschehnisse sollen auch der UN Sonderbeauftragten für Menschenrechtsverteidiger vorgestellt werden. Wie bereits bei den anderen Versuchen ist eine Verbesserung der Lage jedoch fraglich. Trotz des guten Willens und der Aufmerksamkeit mancher nationaler Behörden haben bzw. nehmen diese doch wenig Einfluss auf die lokalen Machtverhältnisse, gerade in diesen entlegenen Gebieten.

Die sichere Straflosigkeit ist eines der größten Probleme der verschiedenen Konflikte um Land und öffnet der Gewalt Tür und Tor. Manche machen sich Hoffnungen, dass sich dies mit dem Prozess der Mörder von Dorothy Stang ändert. Dieser zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass er nun bereits im Dezember, also nach knapp einem Jahr, beginnt. Im Gegensatz zu anderen Morden z.B. in Pará, in welchen es seit mehr als zwanzig Jahren zu keinem Prozess kam, ist dies unglaublich schnell. Ebenfalls von besonderer Bedeutung ist die starke Einmischung durch die Bundesjustiz, die unüblicherweise die Anklage an sich genommen hat und von welcher weniger Verstrickung in die lokalen Machtverhältnisse zu erwarten ist. Auch stehen zum ersten Mal die Drahtzieher und nicht nur die Auftragsmörder vor Gericht. Inwieweit dies ein Einzelfall aufgrund der internationalen Aufmerksamkeit bleibt, oder der zaghafte Beginn einer Wende ist, bleibt abzuwarten.

Kurz vor Prozessbeginn wurde in Pernambuco ein Führer einer lokalen Landlosenbewegung mit 17 Schüssen auf offener Strasse hingerichtet. Vor einem Jahr noch war er Mitglied einer Abordnung, die dem Präsidenten Bericht erstatte und um Hilfe bat. Am 17. November wurde ein weiterer Führer der Landlosenbewegung in Pará ebenfalls auf offener Strasse erschossen.