"Wir sind umzingelt!"

Indigene Pataxó wollen ihr Land im Süden von Bahia zurück. Doch Großgrundbesitzende und Großkonzerne wollen dies nicht zulassen. Und dies hat auch etwas mit Deutschland zu tun, denn wir sind die Weltmeister im Papierverbauch und 20 Prozent der für die Papierherstellung aus dem Ausland importierten Zellulose kommt aus Brasilien.
| von Christian.russau@fdcl.org
"Wir sind umzingelt!"
Dies ist kein Wald. Dies ist eine grüne Wüste. Foto: Christian Russau

Es ist etwas mehr als ein Jahr her, dass bei einer Attacke durch bewaffnete Männer im September 2022 in dem dortigen indigenen Gebiet Comexatiba ein 14-jähriger Jugendlicher erschossen wurde. Es ist bis heute nicht gerichtlich geklärt, ob es gedungene Milizen oder Pistoleiros waren oder Militärpolizeibeamte. Die Pataxó aber kämpfen weiter um Gerechtigkeit und um ihr Land, dort im extremen Süden von Bahia, wie die Region genannt wird.

"Wir bitten die Behörden, die brasilianische Gesellschaft und die internationale Gemeinschaft um Hilfe. Unterstützt die indigene Sache, die echt und legitim ist. Wir können es nicht länger ertragen! Dieses Land ist unser Fleisch, das Wasser ist unser Blut und der Wald ist unser Geist. Zellulose, Monokulturen und extensive Landwirtschaft zerstören Alles!" Dies erklärten rund 180 Indigene Pataxó, als sie im Juni 2022 eine sog. „Retomada“ (Portugiesisch für „Zurückgewinnung“, "Rückeroberung") ihres in Zeiten der brasilianischen Militärdiktatur (1964-1985) vom Staat enteigneten Landes durchführten und die dortige Eukalyptus-Plantage besetzten. Damals sollte die Region "entwickelt" werden - und dies durch Cash Crops wie Eukalyptus-Monokulturen, sodass das von den traditionellen Völkern und Gemeinschaften zuvor gemeinschaftlich genutzte Land vom Staat privatisiert und den Eukalyptus- und Zellososekonzerne zur jahrzehntelangen Pacht überschrieben wurde. Die vorherigen Nutzer:innen des Landes, die traditionellen Völker und Gemeinschaften wurden vertrieben. Dieser Prozess wurde von der Militärregierung in Brasília in die Wege geleitet, im Bundesstaat Minas Gerais geschah dies in den 1960er Jahren, in Espírito Santo in den 1970er Jahren und im Süden von Bahia ab den 1980er Jahren.

Nach der Besetzung der Eukalyptus-Plantage im Juni 2022 wurden die Indigenen bedroht und waren Gewalt ausgesetzt. Nicht nur die Indigenen auf dem besetzten Gelände, sondern auch die indigenen Dörfer wurden von Großgrundbesitzer:innen umzingelt, so dass die Pataxó monatelang ihre Dörfer nicht verlassen konnten. Dieser anhaltende, gewalttätige Landkonflikt geht um das angestammte und bereits 2016 von den Behörden eigentlich demarkierte 28.000 Hektar große indigene Territorium Comexatiba südlich von Porto Seguro am Atlantik. Rechtseingaben von Farmer:innen und Zellstoffkonzernen blockieren aber seither diesen Prozess, ein Richter ordnete die Räumung des Gebietes an. Während die Pataxó vor Ort und vor Gericht weiter um ihr Land kämpfen, breiten sich die schnellwachsenden Eukalyptus-Plantagen weiter massiv aus. „Wir sind umzingelt!“, so definieren es die Indigenen (was Umzingelung und Einpferchung der traditionellen Gemeinschaften durch Eukalyptus-Monokulturen im Süden von Bahia bedeutet, illustriert dieses Bild hier aus dem Dokumentarfilm "Mata" von Fabio Nascimento und Ingrid Fadnes).

Blutige Konflikte um Land
Der blutige Landkonflikt um das Gebiet von Comexatibá wird im Jahresbericht des katholischen Indigenenmissionsrat CIMI erwähnt: „Im äußersten Süden Bahias, kam es zu der brutalen Ermordung von Gustavo Silva da Conceição, einem Pataxó-Jungen von gerade einmal 14 Jahren, bei einer von mehreren Schießereien, die von Gruppen verübt wurden, welche die Indigenen als ‚Milizionäre‘ bezeichnen.“ Insgesamt errechnete CIMI in Bezug auf Gewalt gegen Indigene für das Jahr 2022 158 Fälle von Konflikten um Territorialrechte sowie illegales Eindringen und Ressourcenraub in 309 Fällen, die mindestens 218 Indigene Territorien in 25 brasilianischen Bundesstaaten betrafen.

Die katholische Landpastoral CPT zählt in Bezug auf Landkonflikte für die erste Hälfte des Jahres 2023 insgesamt 973 Landkonflikte, was einem Anstieg von 8 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum im Jahr 2022 entspricht, als 900 Konflikte erfasst wurden. Damit liegt das erste Halbjahr 2023 auf Platz 2 der letzten 10 Jahre und wird nur noch von 2020 übertroffen, als 1.007 Konflikte verzeichnet wurden.

Wem gehört das Land und wozu soll es dienen?
Brasiliens Agrobusiness will mehr Agrarfläche, um die Landwirtschaft auszuweiten und mehr Wirtschaftswachstum durch den Export von Cash Crops wie Soja, Mais, Fleisch oder Zellulose zu erzielen.

Die traditionellen Völker Brasiliens wie Indigene wollen das Land als Indigene Territorien gesetzlich geschützt haben, um Wälder, Flüsse und deren Biodiversität zu schützen und um kleine Teile des Gebietes nachhaltig in Subsistenz für Nahrungsmittelproduktion zu nutzen. Dazu pochen sie auf die von der Brasilianischen Verfassung im Jahre 1988 für binnen fünf Jahren versprochene Übertragung ihres historisch angestammten Landes. Dafür braucht es infolge von historischen und anthropologischen Studien die Demarkation eines Gebietes durch die Behörden und darauf die Homologation durch den Präsidenten. Doch zuvor müssen alle Gerichtsprozesse entschieden werden.

Brasiliens Nationalkongress wird in beiden Kammern, Abgeordnetenhaus und Senat, mehrheitlich von Abgeordneten und Senator:innen, die dem Agrobusiness nahestehen, geführt. Diese „ruralistas“ genannten Politiker:innen wollen die sog. Stichtagsregelung „Marco Temporal“, wonach die Indigenen (und anderen traditionellen Völker) zum Stichtag des Inkrafttretens der brasilianischen Verfassung am 5. Okt. 1988 nachweisen müssten, auf ihrem angestammten Gebiet gelebt zu haben. Indigene kritisieren, dass damit 500 Jahre Landraub nachträglich noch einmal legalisiert werden soll. Der Oberste Gerichtshof STF hat diese Stichtagsregelung für verfassungswidrig erklärt, aber nun will die Mehrheit im Nationalkongress diese gesetzlich durchsetzen. Es droht eine Verfassungskrise zwischen den Gewalten.

Eukalytus-Plantagen: Wirtschaftswachstum oder „Grüne Wüsten“?
Der Boom bei Eukalyptus-Monokulturen führt neben dem Anheizen von Konflikten um Land mit Indigenen und anderen traditionellen Gemeinschaften zu einem deutlich erhöhten Wasserverbrauch in der betroffenen Region, schädigt die Biodiversität, laugt die Böden aus und erfolgt unter hohem Einsatz von Agrarchemikalien, so die Kritik von Umweltschützer:innen. Auf mittlerweile 7,3 Mio. Hektar wird in Brasilien Eukalyptus angepflanzt. Allein im Bundesstaat Bahia sind es derzeit 800.000 Hektar. Eukalyptus wächst schneller als andere Hölzer und ist vielfältig nutzbar als Rohstoff für Handwerk, Bau, Energieerzeugung, aber der Großteil der Eukalyptus-Produktion Brasiliens wird für die Zellstoffproduktion für Papier verwendet. Beim Export von Zellulose ist Brasilien mit 19,1 Mio. t (2022) vor Kanada (8 Mio. t) und den USA (6,8 Mio. t) Weltmarktführer. Allein der Export der weiter verarbeiteten Zellulose bringt Brasilien jedes Jahr rund 7 Mrd. Euro ein.

Deutschland ist Weltmeister im Import – und Brasilien Weltmeister im Export
Deutschlands Papier-Pro-Kopf-Verbrauch ist weltmeisterlich! Nirgends ist dieser so hoch wie hier: 2021 waren es insgesamt 19 Millionen Tonnen Papier, Pappe und Karton, so lag der rechnerische Pro-Kopf-Verbrauch in Deutschland bei 228 Kilogramm. Die ist der weltweit höchste Pro-Kopf-Wert. Bei Zelluloseimporten – dem Grundstoff für die Papierproduktion – nach Deutschland liegt Brasilien mit 1 Mio t/Jahr an Platz 1, das entspricht rund 20% unserer Zelluloseimporte.
Unser Konsum ist mitverantwortlich für die "Grünen Wüsten" in Brasilien.

Plantage ist gleich Wald? Indigene Landrechte als Menschenrechte
Im Zuge der dringend notwendigen Debatten um Bekämpfung der Klimakrise wird auch um Wälder und um Aufforstung gestritten. Die UN-Organisation FAO definiert einen Wald als ein Gebiet von über einem halben Hektar mit über fünf Meter hohen Bäumen und einem Überschirmungsgrad von zehn Prozent. Diese technische Definition öffnet Forstkonzernen die Möglichkeit, Plantagen wie die von Eukalyptus als Wald zu definieren – und dafür sich entweder „Carbon Credits“ als Kohlenstoffsenke gutschreiben zu lassen und Aufforstungen als „grüne“ Geldanlagen zu zertifizieren. Dagegen protestieren die Indigenen, deren Gebiete nachweislich die geringsten Rodungsraten aufweisen, wenn sie zuvor demarkiert und dadurch geschützt wurden. Indigene Landrechte schützen Menschenrechte und die Biodiversität und das Klima. Und eine Plantage ist kein Wald.

Pataxó weiter im Widerstand, aber auch im steten Dialog
Eine Delegation der Pataxó ist gemeinsam mit Vertreter:innen der Tupinambá Anfang Dezember aus dem extremen Süden von Bahia nach Brasília gereist, um dort mit Vertreter:innen der Indigenenbehörde FUNAI über die Landkonflikte in der Region, über die dringend anstehende Territorialfrage für die Indigenen Territorien vor Ort sowie über die Frage zu sprechen, wie die Politiken der öffentlichen Hand für indigene Gesundheit und Bildung verbessert werden müsse.

// Christian Russau (www.outro-mundo.org)