Wasserstraßenbau Araguaia-Tocantins muss laut Bundesstaatsanwaltschaft sofort gestoppt werden

Die Bundesstaatsanwaltschaft MPF hat beim brasilianischen Bundesgerichtshof den Antrag auf eine Eilverfügung zur sofortigen Aussetzung der Genehmigung der Bundesumweltbehörde IBAMA für Felssprengungen zur künftigen Schiffbarmachung des Fluss Tocantins in der Gegend von Pedral do Lourenção im nordbrasilianischen Bundesstaat Pará eingereicht. Bereits im Mai hatte die Bundesstaatsanwaltschaft den Stopp gefordert, da die Rechte der betroffenen Indigenen und weiteren traditionellen Völker und Gemeinschaften auf freie, vorherige und informierte Konsultation nicht beachtet worden war. Zudem gehe die für das Projekt verantwortliche Behörde Dnit taktisch-strategisch vor: Mal werde das Projekt groß als Mega-Wasserstraße dargestellt, wenn es opportun ist, und manchmal werde es als Projekt eines nur "kleinen Eingriffs" bezeichnet, wenn es um potentielle künftige Entschädigungszahlungen gehen könnte.
| von Christian.russau@fdcl.org
Wasserstraßenbau Araguaia-Tocantins muss laut Bundesstaatsanwaltschaft sofort gestoppt werden
Soll ausgebaggert werden, um schiffbarer zu werden: der Rio Tocantins. Foto: christianrussau

Brasiliens Agrobusiness und Bergbauindustrie wollen weiter reüssieren auf dem Weltmarkt, mittels des Exports ihrer Commodities. Dafür braucht es neue Häfen, Bahnlinien, Straßen und auch Wasserstraßen. In Bezug auf Transportkapazität liegen Wasserstraßen wegen der schieren Menge per Schiff transportierbarer Güter ziemlich weit oben im Interesse der Wirtschaftslobby. So gibt es in Brasilien derzeit laut Regierungsangaben 12.000 km schiffbarer Wasserstraßen. Und diese Zahl soll in den nächsten Jahren fast vervierfacht werden, auf 42.000 km. Die Projektplanungen betreffen Flüsse und Zuflüsse wie den Madeira, Tapajós, São Francisco, Parnaíba, Paraguai und auch die Flüsse Tocantins und Araguaia. In den kommenden vier Jahren sollen so 4,8 Milliarden Reais an Investitionen in solche Wasserstraßenbau-Großprojekte fließen, mit Bundesmitteln aus dem neuen Wachstumsbeschleunigungsprogramm Novo PAC (Programa de Aceleração do Crescimento).

Einmal mehr bestehen Befürchtungen, dass im Zuge reiner Wachtsumsfokussierung der Politik der öffentlichen Hand die Rechte der lokal von solchen Großprojekten Betroffenen wie Quilombolas, Indigenen und weiteren traditionellen Völkern und Gemeinschaften nicht hinreichend respektiert werden. Dies zeigt sich nun mit ganzer Brisanz an einem gestern von der brasilianischen Bundesstaatsanwaltschaft eingereichten Eilantrag zur sofortigen Aussetzung der Genehmigung der Bundesumweltbehörde IBAMA für Felssprengungen zur künftigen Schiffbarmachung des Fluss Tocantins in der Gegend von Pedral do Lourenção im nordbrasilianischen Bundesstaat Pará. Bereits im Mai hatte die Bundesstaatsanwaltschaft den Stopp der dortigen Pläne gefordert (KoBra berichtete), aber die brasilianische Bundesumweltbehörde IBAMA reagierte nicht, sondern fuhr fort mit der Praxis der Anerkennung der von ihr im Mai dieses Jahres erteilten Genehmigung, "obwohl juristische und verwaltungstechnische Fragen im Zusammenhang mit der Umweltverträglichkeit des Projekts nicht geklärt waren und keine vorherigen, freien und informierten Konsultationen (CPLI) mit den betroffenen traditionellen Völkern und Gemeinschaften durchgeführt worden waren", so der Vorwurf der Bundesstaatsanwaltschaft.

In der Niederlassungslizenz (die Licença de Instalação - LI - ist die zweite der drei Umweltgenehmigungslizenzen) werde anerkannt, so die MPF, dass es immer noch Maßnahmen gibt, die vom Auftragnehmer, dem Departamento Nacional de Infraestrutura de Transportes (Dnit), nicht oder nur teilweise erfüllt worden seien. "Die Erteilung der Genehmigung unter der Bedingung, dass die technischen Empfehlungen in Zukunft eingehalten werden, reicht nicht aus, um die Vermeidung von Schäden zu gewährleisten", warnt das MPF, das auch seine Forderung an die Gerichte bekräftigte, die vorherige Genehmigung, die so genannte Vorläufige Lizenz (die Licença Prévia - LP - ist die erste der drei Umweltgenehmigungslizenzen), die dem gesamten Projekt zugrunde liegt, aufzuheben oder zumindest auszusetzen. Denn, so die Bundesstaatsanwaltschaft: Eine der wichtigsten Rechtswidrigkeiten sei das Fehlen von freier, vorheriger und informierter Konsultation (auf Englisch kurz: FPIC) der vom Projekt betroffenen Indigenen, Quilombola-, Fluss- und handwerklichen Fischereigemeinschaften, die von den Arbeiten direkt betroffen sein würden. Laut Bundesstaatsanwalt Rafael Martins da Silva, so die Mitteilung der MPF, wurde das Recht auf FPIC, das in der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, die Brasilien unterzeichnet hat, vorgesehen ist, ignoriert. "Das Versäumnis des Staates, eine vorherige Konsultation durchzuführen, bedeutet, dass die Gemeinschaften einem Projekt unterworfen werden, das sich dauerhaft auf ihr Leben und ihr Territorium auswirken wird, ohne dass sie die Möglichkeit haben, über ihre eigene Zukunft mitzuentscheiden", so der zuständige Bundesstaatsanwalt in der Petition an das Gericht. Darüber hinaus wird in der Petition betont, dass diese Rechtswidrigkeit Verstöße widerspiegele, für die Brasilien bereits vom Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte IACHR in der Vergangenheit verurteilt wurde. Es handele sich dabei um Fälle, in denen traditionelle Gemeinschaften, die eng mit dem Gebiet und einer bestimmten Lebensweise verbunden sind, von einem staatlichen Projekt betroffen sind, das Mängel im Genehmigungsverfahren aufweist und direkte Auswirkungen auf die Subsistenz und die Kultur hat, und in denen das staatliche Handeln eine Situation der Gefährdung aufrechterhält.

Während von Behördenseite oft die Existenz von potentiell betroffenen Indigenen oder weiteren traditionellen Völkern und Gemeinschaften salopp verneint wird, so weist die MPF in ihrem Eilantrag zum wiederholten Male darauf hin, die Behauptung des Projekträgers, dass es an der Strecke des Pedral do Lourenção keine traditionellen Gemeinschaften gäbe, nicht nur falsch, sondern offensichtlich vorsätzlich falsch sei. Denn: In den Dokumenten des Projektträgers Dnit selbst werde die Existenz von mindestens zehn Ufergemeinschaften im direkten Einflussbereich des Projekts anerkannt. Die MPF wirft dem Dnit auch vor, taktisch-strategisch eine konzeptionelle Dualität zu verwenden: Mal werde das Projekt groß als Mega-Wasserstraße dargestellt, wenn es opportun ist, und manchmal werde es als Projekt eines nur "kleinen Eingriffs" bezeichnet, wenn es um potentielle künftige Entschädigungszahlungen gehen könnte.

// Christian Russau

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