Schlechte Aussichten für den Regenwald und seine Bewohner

<strong>Gebietshoheit Brasiliens im Amazonasraum kommt abhanden : Zwischenbilanz  des Programms zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums (PAC)</strong><br /><br />Guilherme Carvalho Mitarbeiter der brasilianischen Organisation FASE hinterfragt in einer Untersuchung die staatlichen Maßnahmen für die Programme IIRSA (Ausbau der Infrastruktur in Südamerika) und PAC (Wachstumsbeschleunigung). Diese ermöglichen durch den grenzüberschreitenden Ausbau von Infrastruktur und Logistik wirtschaftlich starken Gruppen den Zugang zu den Ressourcen Amazoniens und sollen die Region entwickeln:
| von Uta Grunert, Kooperation Brasilien, Juli 2011


- Finanzierung: Mit staatlichen Finanzierungshilfen werden Unterstützungen gewährt, die eher wie Subventionen anmuten (Strompreise etc.);

- Privatisierung: Partnerschaften zwischen öffentlicher Hand und Privatwirtschaft nehmen zu (z.B. erfolgen Genehmigungen und Konzessionsvergaben an Privatinitiativen);

- Gesetzgebung: Verfassungsänderungen (z.B. Código Florestal) oder der Vorschlag, die unbebauten Grenzgebiete Brasiliens von 150 km auf 50 km zu verringern, um z.B. Wasserkraftwerke im Grenzgebiet zu Peru oder Bolivien zu ermöglichen), allgemein ist die Lockerung/Flexibilisierung der Umweltgesetzgebung zu beobachten.

Die Beispiele des Programmes zum Ausbau der Infrastruktur IIRSA und das Programm zur Beschleunigung des Wachstums, PAC, im Bundesstaat Rondônia verfolgen ein einheitliches Ziel:

- Ausbau der BR-364 von São Paulo bis zur Grenze Acre/Peru;

- Staudamm Santo Antonio, 7 km von der Hauptstadt Porto Velho entfernt, bereits im Bau;

- Staudamm Jirau, 150 km von Porto Velho entfernt, bereits im Bau;

- Staudamm Guajará-Mirim, an der Grenze Bolivien/Brasilien, in Planung;

- Staudamm Cachuela Esperanza (Bolivien), in Planung, 80% des Stroms soll nach Brasilien fließen.

Mit dieser Abfolge von Staudämmen und Ausbaumaßnahmen wird der Rio Madeira für internationale Schifffahrt und Handel nutzbar gemacht. Der Staat läuft allerdings Gefahr  bei den Bautätigkeiten seine Hoheit in der Region aufzugeben, hat er doch im Falle des Kraftwerks Jirau eine große Fläche Staatsland an Firmen wie das Konsortium „Erneuerbare Energien Brasilien“ (Consórcio Energia Sustentavel do Brasil), eine Tochter des multinationalen Riesen Suez Energy oder dem Bauriesen Camargo Corrêa verkauft.

Diese Firmen erwerben einerseits ein Strommonopol in der Region und werden die Kontrolle über die Schiffbarkeit von Amazoniens Flüssen übernehmen. Der Wert des von ihnen erworbenen Landes steigt durch die Exportanbindung über den Schiffsweg enorm.

Bundes- wie Landesregierung unterstützen mit ihrer Politik die Land- und Machtkonzentration in Händen solcher Wirtschaftsunternehmen. Zur Legalisierung von umstrittenen Flächen in der Region wurde beispielsweise das „Programa Terra lega“  (Programm rechtlich abgesichertes Landeigentum) aufgelegt.

Die großen Unternehmen, die in die Region drängen, verfolgen allesamt ähnliche Ziele:

- Erzeugung und Verkauf von Energie;

- Schiffbarmachung der wichtigsten Flüsse für internationale Exportströme;

- Stärkung oder Erweiterung von wirtschaftlichen Tätigkeiten, die für die internationalen Märkte wichtig sind, z.B. Rinderzucht, Agrotreibstoffherstellung, Zellulosegewinnung, Holzhandel, Energieproduktion für energieintensive Industrien wie die Aluminium- und Stahlherstellung.

KleinbäuerInnen werden von ökonomisch intensiven Erzeugungen auf der Fläche „abgelöst“, die neuen LandeignerInnen zeichnen sich durch Kapitalintensität und hohen Ressourcenverbrauch aus. Dem Land wird der Stempel des Großkapitals aufgedrückt. Gleichzeitig entstehen durch diese Prozesse immer neue Landkonflikte. Amazoniens Reichtum ist gleichzeitig sein Problem. Der Druck auf Amazonien und den Wald wächst durch die steigende Nachfrage nach:

- tierischen und pflanzlichen Eiweißen: Der weltweite Fleischkonsum, sei es Rind, Schwein oder Geflügel, nimmt stetig zu. Der Sojaanbau fließt indirekt als Viehfutter ebenfalls in die Fleischproduktion.

- Agrotreibstoffen: Millionen von Dendê-Setzlingen oder anderen ölhaltigen pflanzlichen Grundstoffen für Ethanol und Agrodiesel werden in Pará gesetzt. Firmen wie Petrobras und Vale haben hier die Finger im Spiel. Landkonzentration und abnehmende Flächen für die Eigenproduktion von Nahrungsmitteln für die BäuerInnen sind die Folge.

- Energie: Amazonien ist auf dem Weg, mit Hilfe der Wasserkraft die Führung unter den Energie produzierenden Bundesstaaten zu übernehmen. Nach Berechnungen von Osvaldo Sevá von UNICAMP werden entsprechend der Planung bis 2050 über 300 Wasserkraftwerke gebaut werden. Der Wasserkraftsektor will mit seiner „sauberen“ Energie zusätzlich Geld über den Emissionshandel erzielen. Forscher wie Phillip Fearnside von IPAM stören diese Pläne mit ihren Studien zur Methangasentwicklung. Das Treibhausgas entsteht u.a. bei Faulprozessen in stehenden tropischen Gewässern und trägt noch aggressiver als CO2 zur Aufheizung der Atmosphäre bei. Die Ausweitung der Wasserkraft in Amazonien führt zu Landkonflikten, Vertreibungen und Abholzung von Tropenwald auch auf Indigenenland, Parks und in Schutzgebieten.

- Eisen-Erzen: Allein von der Bergbaufirma Vale wandern 60% der Produktion nach China. Auch multinationale Konzerne wie ALCOA übernehmen die Kontrolle über das Land und seine Bodenschätze. Die BewohnerInnen der Region (Quilombolas, Indigene, Sammlerkulturen, FlußuferbewohnerInnen, KleinbäuerInnen, Angesiedelte im Rahmen der Agrarreform und die Bevölkerung der kleinen und mittleren Städte) haben das Nachsehen. Eine Studie von „Justiça nos Trilhos“ belegt, dass von den Quilombolas, die in den Minen arbeiten, gut 65% an Atemwegserkrankungen leiden.

- Holz: Die Öffnung der Verkehrswege in Richtung Peru hat einen Anstieg des illegalen Holzeinschlags zur Folge.

Es steht zu befürchten, dass Amazonien leer geräumt wird, in materiellem, ökonomischem und sozialem Sinne.


Nationale und multilaterale Banken wie die BID (Banco Interamericano de Desenvolvimento), CAF (Corporação Andina de Fomento) und die BNDES (Banco Nacional de Desenvolvimento Econômico e Social) waren die ersten Finanziers für IIRSA und PAC und treiben gemeinsam mit der Politik diese Haltung voran. Der politische und wirtschaftliche Block, der sich aus nationalen und internationalen Kräften zusammensetzt, ist mächtig und vielfältig. Der brasilianische Staat hat Regierungsbehörden  wie IBAMA, INCRA und FUNAI, Landesbehörden, Präfekturen, staatliche Unternehmen (vor allem aus dem Energiesektor: FURNAS, ELETRONORTE, ELETROBRÁS), Parlament, Gesetzgebung, Privatbanken (Bradesco, Itaú, Santander), Bauunternehmen (Odebrecht, Camargo Corrêa, Andrade Gutierrez, Mendes Junior), Pensionsfonds der ArbeiterInnen (Caixa, Petrobrás, Banco do Brasil, Previdência, Vale), ausländische Regierungen, multinationale Konzerne, usw. auf seiner Seite.  Sie alle wollen vom Wachstum und der Entwicklung Amazoniens profitieren.



Brasilianische Politik stärkt Aluminiumindustrie

Die brasilianische Politik hat ein Maßnahmenpaket in Auftrag gegeben, das dem Aluminiumsektor in Brasilien stark entgegenkommt. Eine Arbeitsgruppe von MitarbeiterInnen des Energie-, Entwicklungs-, Industrie- und Handelsministeriums und der Entwicklungsbank BNDES wird noch vor Jahresende einen Aktionsplan vorlegen. Eine erste Erhebung soll den Aluminiumbedarf des Landes ermitteln und die Kapazitäten der Industrie ausloten.

Vergünstigte Stromtarife und staatliche Anreize, die zu einer Verdichtung der Metallproduktionslinien führen sollen, gehören zu den Ideen. Energieminister Lobão will außerdem VertreterInnen der Aluminiumindustrie direkt in Projekte einbinden, die der Energieerzeugung dienen. Als Beispiel nennt er das Wasserkraftwerk Estreito am Tocantíns-Fluss, das für 1.100 MW ausgelegt ist und dessen Bau bald abgeschlossen sein soll. ALCOA ist an diesem Standort bereits als Aluminiumproduzent aktiv und will nun kräftig in die Energieerzeugung investieren. Ebenfalls am Tocantíns, beim geplanten Wasserkraftwerk Serra Quebrada (1.300 MW), wartet man schon auf die Aluminiumindustrie.

Im Fall von Belo Monte ist Vale der entscheidende Aluminiumproduzent, der von der billigen Wasserkraft profitieren will. Allerdings musste Vale seine Aluminiumanteile an die norwegische Norsk Hydro veräußern, da der Konzern durch den Konkurrenzdruck und die Energiepreise im Land nicht in neue Anlagen investieren konnte. 2009 musste Vale den Komplex Valesul in Santa Cruz (RJ) schließen, der 90.000 t Aluminium produziert hatte. Durch die Schließung eines weiteren Standorts in Aratu, Bahia (Novelis) Ende letzten Jahres, ging dieses Jahr die Primäraluminiumproduktion um 6,6% zurück. Von Januar bis Mai wurden 592.500 t Primäraluminium produziert.

Die Aluminiumproduktion soll ein sicherer und florierender Exportsektor bleiben und Importe in diesem Bereich überflüssig machen. Wenn man jetzt nicht handle, sei jedoch laut Prognosen ab 2015 bei gleich bleibendem Wirtschaftswachstum die Aluminiumversorgung im Land unsicher. Heute liegt Brasilien als Primäraluminiumproduzent im internationalen Vergleich an sechster Stelle, nach China, Russland, Kanada, USA und Australien. Günstige Voraussetzung bieten die reichen Bauxitvorkommen. Brasilien ist weltweit drittgrößter Bauxitlieferant und will sich sowohl mit Primäraluminium als auch mit gewalzter Ware (hier liegt es international an vierter Stelle) als Exportnation etablieren. Novelis und Votorantim/CBA müssen bereits Rohmetall zukaufen, um ihre Walzwerke zu versorgen. Die Regierung will vermeiden, dass ähnlich wie im Stahlsektor – hier liegt Brasilien an zweiter Stelle im Exportvergleich – Fertigstahl importiert werden muss, um die Inlandsnachfrage zu befriedigen.

Konzepte wie das Programm zur Wachstumsbeschleunigung PAC und die Initiative zur Integration der regionalen südamerikanischen Infrastruktur IIRSA, haben den Amazonasraum zum Selbstbedienungsladen für Rohstoffe wie Bauxit für die Aluminiumherstellung und Energie (aus neu gebauten Megastaudämmen wie z.B. Belo Monte) gemacht, wo die Exportindustrie immer mehr Mitspracherechte erhält. Der Aktionsplan für die Aluminiumindustrie dürfte in die gleiche Richtung zielen.



Dilma auf Lulas Spuren: Baubeginn von Belo Monte schafft erste soziale Probleme. Umweltauflagen missachtet!

Um ein jährliches Wirtschaftswachstum von 4 bis 5% zu ermöglichen, will Brasilien die Energieerzeugung um jährlich 6.000 MW steigern. Dieses Ziel soll hauptsächlich mit dem Bau neuer Wasserkraftwerke erreicht werden. In den nächsten zehn Jahren sind sechzig Großprojekte im Wasserkraftsektor geplant, viele davon im Amazonasbereich.

25% dieser Energie fließen in den energieintensiven Exportsektor, vor allem Aluminium und Stahl, der jedoch den Strom nur zu lokalen Erzeugerpreisen rückvergütet – ein Schnäppchenpreis im internationalen Vergleich. Dabei forciert die brasilianische Politik durch immer weitere Lockerungen der Umwelt- und Sozialauflagen den Ausverkauf ihrer eigenen Reichtümer und große soziale Konflikte in der Region.

Gegen die Verletzung der Rechte von Indigenen und anderen Betroffenen hatte sich im Juni die Organisation Amerikanischer Staaten, der Brasilien angehört und auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International mit Briefen eingesetzt. Die brasilianische Regierung wies die Vorwürfe zurück oder ignorierte sie einfach.

Am 1. Juni wurde die Installationslizenz für das Kraftwerk Belo Monte durch die brasilianische Bundesumweltbehörde IBAMA erteilt, obwohl über ein Viertel (11) der 40 Vorbedingungen noch nicht erfüllt waren. Wieder wird der gesetzlich vorgeschriebene Weg von Seiten der Regierung umgangen; man wolle die Auflagen in den jeweiligen Bauphasen erfüllen, so die Argumentationslinie. Stattdessen kündigt die Regierung für August eine „Aktion Bürgerrechte Xingu“ an. Mit dieser Maßnahme sollen die 11 Gemeinden um die Baustelle Belo Monte nachhaltig entwickelt werden. Vierzig Organisationen haben jedoch bereits ihre Teilnahme abgesagt, wollen sie doch eine andere Art von nachhaltiger Entwicklung für die Region als die Regierung.

Wenige Tage nach Erteilung der Installationslizenz trafen 40 schwere Baufahrzeuge auf dem Schiffsweg in der Region ein. Insgesamt hat das Betreiberkonsortium 700 Maschinen und Fahrzeuge in Auftrag gegeben.

Die 40 km von der Baustelle entfernt liegende, 100.000 Einwohner große Stadt Altamira befürchtet nun einen unkontrollierbaren Massenzuzug von Menschen, die sich Arbeit und andere Vorteile von dem Großvorhaben Belo Monte versprechen. Bereits 20.000 Menschen sind angekommen, 100.000 wurden für die Hauptbauphase prognostiziert. Trotz zweijähriger Planungsphase ist Altamira auf diese Invasion nicht vorbereitet. So stiegen seit Februar allein die Fälle gemeldeter Kriminalität auf das Doppelte. Aufgrund steigender Wohnungsmieten nimmt zudem außerhalb der Stadt die Entwaldung zu, da sich neue SiedlerInnen Platz für neue Viertel schaffen.

Eine Sonderausgabe der Zeitschrift Época prognostiziert, dass die schlechten Erfahrungen von Porto Velho, der Hauptstadt Rondônias, in der Nähe der Staudämme Santo Antônio und Jirau, auf die zu erwartende Situation in Altamira übertragbar sind. Konflikte in Porto Velho entstanden durch steigende Kriminalität (Schwarzmarkt, Korruption, Drogenhandel, Prostitution) und fehlende Infrastruktur für die Neuzugänge. Zu erwartende Spätfolgen nach Abschluss der Bauphase sind u.a. ein Anstieg der illegalen Entwaldung. Wegen fehlender Beschäftigungsperspektiven werden dann viele der Binnenmigranten in die Vieh- und Holzwirtschaft drängen, um dort Geld für ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften.

Auch vor bestehenden Schutzgebieten machen die Wasserkraftwerksbauer nicht Halt. Ohne ökologische Voruntersuchungen beantragte Eletronorte die Verkleinerung dreier Schutzgebiete am Rio Tapajós (Pará) zugunsten der geplanten Wasserkraftwerke São Luiz (6.133 MW) und Jatobá (2.338 MW). Es handelt sich um die Nationalen Waldschutzgebiete Itaituba I und II und den Amazonas-Nationalpark, der seit 1970 besteht und zu den ältesten Schutzgebieten Brasiliens gehört. Ende Juli wird nun eine vorläufige Verfügung durch die Gesetzgebung erwartet, die diese Beschneidung der Schutzgebietsflächen möglich macht. Im kommenden Jahr werden darüber hinaus fünf weitere Gebiete ihren Schutzstatus einbüßen, um drei Wasserkraftwerken im Tapajós-Komplex Platz zu machen.

Eine Ermutigung könnte ein gewonnener Kampf in Peru sein. Dort hat im Juni die Regierung ein Abkommen mit dem brasilianischen Konsortium EGASUR aufgekündigt. Ein Riesenerfolg für die Gegner des Inambari-Staudamms, die über drei Jahre Widerstand geleistet und zuletzt mit über 2.000 Menschen gekämpft haben. 15.000 Menschen hätten durch Bau und Überflutungen ihre Anbauflächen verloren. Mit der politischen Entscheidung lässt Peru Brasilien zum zweiten Mal hängen. 2010 wurde nach Protesten der Ashaninka-Indigenen das Pakitzapango-Projekt aufgekündigt.



Neues Waldschutzgesetz verursacht erhöhte Entwaldung


Bei den Auseinandersetzungen um die Änderung des brasilianischen Waldschutzgesetzes Código Florestal [Für die wichtigsten Änderungen siehe Brasilicum Nr. 207, Hintergründe außerdem im Brasilicum Nr. 200/201. Anm. d. Red.] hat das Agrobusiness mit der Abstimmung des Parlaments am 26. Mai bereits einen ersten Sieg davon getragen. Wenn der Senat in den kommenden Monaten nicht gegen die Änderungen stimmt, kann Präsidentin Dilma Rousseff noch ein Veto einlegen. Sonst ist die Novellierung des Gesetzes rechtens. Nicht nur der Wald, das Klima, die lokale Bevölkerung und UmweltschützerInnen wären die VerliererInnen. Auch die Präsidentin nimmt Schaden. International, weil sie sich hohe Ziele gesetzt hat, was Waldschutz und die Einsparung von Kohlendioxidemissionen angeht, und national, weil sie sich deutlich für den Erhalt des Código Florestal ausgesprochen hat, und damit nicht gegen die Agrarlobby und ihre eigene Koalition im Parlament angekommen ist.

Der Código Florestal ist ein Naturschutzgesetz, das Schutzzonen für verschiedene Biome wie Wald und Feuchtsavannen schafft. Seine zwei wichtigsten Komponenten sind die RL (Reserva Legal – gesetzlich vorgeschriebene Waldschutzgebiete) und die APP (Área de Preservação Permanente – ständige Schutzgebiete). Beide sollen die Ausweitung von Agrarflächen in Gebiete aufhalten, die noch ursprüngliche Wälder aufweisen. Entwaldung ist selbst auf Privatgrund unter bestimmten Prämissen verboten und wird bei Zuwiderhandlung (zumindest offiziell) mit Strafe verfolgt. Die Reserva Legal (RL) ist ein gesetzlich vorgeschriebenes Naturschutzgebiet, das Primärwald vor Eingriffen schützt. Liegen landwirtschaftliche Nutzflächen im Bereich von ursprünglichen Wäldern, dann dürfen die Felder nur 20% eines solchen Privatbesitzes einnehmen, die restlichen 80% müssen als Wald unangetastet bleiben. Die Área de Preservação Permanente (APP) ist ein dauerhaft unter Schutz gestelltes Gebiet, das vor allem Bodenerosion und Überschwemmungen verhindern soll. Solche APPs liegen daher u.a. an Quellen, entlang von variierenden Flussläufen, auf Bergkuppen oder an Steilhängen. Klassische Landwirtschaft ist in den APPs untersagt. Allerdings sind Wertschöpfungsmöglichkeiten erlaubt, die gleichzeitig den Schutzanforderungen gerecht werden, wie z.B. nachhaltige Waldwirtschaft, Ökotourismus, Agrowaldweidewirtschaft und Agroforstsysteme.

In der Realität ist der Wald schon jetzt längst nicht so gut geschützt, wie das Gesetz es ursprünglich will. Rodungen wurden über Jahre auch innerhalb der RL vorgenommen und kaum geahndet. Schätzungen der Agrarreformbehörde INCRA gehen nach Katastereinträgen davon aus, dass in Brasilien von knapp 250 Mio ha RL nur knapp 100 Mio ha noch bewaldet sind. Die Landbesitzer argumentieren, sie könnten sonst nicht rentabel wirtschaften.

Schon die Vorstellung, es könne zur späteren Legalisierung kommen, treibt in Amazonien die Entwaldung in neue Schwindel erregende Höhen. Dies belegen die beiden Forschungsinstitute INPE und IMAZON, wenn auch mit leicht divergierenden Zahlen. Innerhalb eines Jahres (August 2010 bis Mai 2011) stieg die Entwaldung nach Daten von IMAZON um 24% an. Am höchsten liegen die Werte im Monat Mai, wo eine Zunahme von 72% im Vergleich zum Vorjahresmonat beobachtet wurde. Das Forschungsinstitut INPE stellte im März und April einen vergleichbar erschreckenden Abholzungsanstieg besonders in Mato Grosso und Pará fest. Insgesamt wurden dort fast 600 km² entwaldet, was eine Zunahme von 53% gegenüber dem Vorjahreszeitraum bedeutet.

Umweltministerin Teixeira musste einräumen, dass sie die Situation mit dem Tropenwaldschutz nicht im Griff hat. Sie berief eine Notfallkommission ein, will sie doch mit ihren Maßnahmen nicht die internationalen AbnehmerInnen des Sojas beunruhigen, das unter anderem auf den frisch umgewandelten Flächen angebaut wird. Vermutet wird auch der verstärkte Maisanbau als Entwaldungsursache, denn damit wird eine gewisse Unabhängigkeit vom Sojapreis angestrebt.

Das Forschungsinstitut für angewandte Ökonomie IPEA legte im Juni eine Studie vor, die die Auswirkungen der Novellierung des Código Florestal bezüglich der RL untersucht. Kalkuliert wurden der zu erwartende Waldflächenverlust bei rückwirkender Straffreiheit [Eine Änderung des Waldschutzgesetzes sieht Straffreiheit für alle vor Juli 2008 abgeholzten Flächen vor. Anm. d. Red.] und die Auswirkungen auf die CO2-Ziele des Landes in den internationalen Klimaverhandlungen. Es wurden jeweils zwei Versionen durchgespielt. Die optimistische Version 1 erfasst nur Auswirkungen durch die Legalisierung bereits landwirtschaftlich umgewandelter Flächen in Betriebsgrößen bis 400 ha [Das geänderte Waldschutzgesetz entbindet bis 400 ha große Landbesitze von der Pflicht der RL. Anm. d. Red.]. Die realistischere Version 2 bezieht zusätzlich Eingriffe in noch verbliebene Waldgebiete innerhalb der RL ein und berücksichtigt alle Betriebsgrößen, weil sie davon ausgeht, dass sich durch das Gesetz auch über 400 ha große Betriebe zur Waldrodung ermutigt fühlen.

Die Studienergebnisse besagen, dass bei einer Gesetzesnovellierung mindestens 47 Mio ha Primärwald in Betrieben bis 400 ha ihren Schutzstatus verlören (Version 1). In Version 2 steigen die Schätzungen sogar auf 79 Mio ha Waldverlust an.
Nach Berechnungen des IPEA würde innerhalb der Betriebsgrößen bis 400 ha in Amazonien auf 60% der Fläche keine Wiederaufforstung verlangt. Noch stärker bedroht seien die Feuchtsavanne Caatinga und der atlantische Küstenregenwald Mata Atlântica, wo in Betrieben bis 400 ha ebenfalls schon ein großer Teil der RL gerodet wurde. Die Studie hebt hervor, dass die Verringerung der Schutzzonen mit ursprünglicher Vegetation im semi-ariden Bereich im Widerspruch zur UN-Konvention für die Bekämpfung der Wüstenausbreitung (Desertifikation) steht, die Brasilien unterzeichnet hat.

Die Berechnungen zum Verlust von Kohlenstoffspeichern nach Entwaldung zeigen, dass der neue Código Florestal in starkem Widerspruch zu Brasiliens Klimazielen steht. Zur Erinnerung: In Kopenhagen hat Brasilien einen Entwaldungsrückgang für Amazonien von 80% und für den Cerrado von 40% bis 2020 angekündigt. Damit will Brasilien über 600 Mio t CO2 (insgesamt sogar 1,1 Gigatonnen CO2) eingesparen. Wenn in Betrieben bis 400 ha die RL erhalten bliebe, könnten damit 11,6 Gigatonnen CO2 eingespart werden. Allerdings müsste dann auch die Aufforstung bereits abgeholzter RLs eingefordert werden.

Als Anreiz zum Walderhalt und zur Beibehaltung der Gesetzeslage, die diesen unterstützt, weist die Studie auf Verdienstmöglichkeiten innerhalb des REDD+-Mechanismus hin, wo Vergütungen für die Kohlenstoffspeicherung in Wäldern gezahlt werden sollen. Auch die nachhaltige forstliche Nutzung wird bisher kaum als Alternative zur konventionellen Landwirtschaft genutzt, obwohl sie Einkommen schaffen und gleichzeitig den Wald erhalten könnte.