Codigo florestal – Brasiliens Waldschutzgesetz in Gefahr

Brasilien ist auf dem Weg zu einem neuen Gesetz, das dem Wald weniger Schutz bietet als bisher. KritikerInnen sehen darin den Sieg der großen Agrarunternehmen, die mit ihren Flächen immer weiter in den Regenwald vordringen.
| von admin

Aldo Rebelo von der Kommunistischen Partei (PcdoB-SP) ist Vorsitzender des Kongressausschusses, der den Neuentwurf des Codigo florestal erarbeitet hat. Andere Parlamentarier, Umweltschützer und Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace und IPAM  laufen dagegen Sturm, sehen sie doch eine Größenordnung von 85 Millionen Hektar Waldvernichtung neu auf dem Weg zur Legalisierung.

Ein Zusammenschluss von NGOs unter dem Namen observatorio do clima (www.oc.org.br) hat sich mit einem warnenden Protestbrief an die Abgeordneten gewandt und vor den weitreichenden Folgen einer solchen Gesetzesänderung gewarnt. Die Internetseite www.sosflorestas.com.br vereint Hintergründe und Entstehungsgeschichte des Gesetzes bis heute und unterstützt die Kampagne gegen die Gesetzesinitiative von Rebelo und der Farmerlobby im Parlament („bancada ruralista“). UnterstützerInnen der Gegeninitiative sind: Apremavi, Greenpeace, ICV, IPAM, Imaflora, ISA und der WWF. Auch die Vertretungen der kleinbäuerlichen Landwirtschaft CONTAG, Fetraf, CPT, CUT, MST u.a. traten gegen Rebelos Änderungsvorschlag auf. Es steht zu befürchten, dass das Thema im Wahlkampf machtpolitisch ausgeschlachtet werden wird, nachdem die Novelle von einer Parlamentskommission mit 13 zu 5 Stimmen verabschiedet wurde. Wer dafür und dagegen gestimmt hat, kann man bei einem Link von Greenpeace nachlesen (http://www.greenpeace-comunicacao.org.br/email/cyberativismo/ciber_08-07-2010.html). Das endgültige Gesetz muss noch im Kongress verhandelt werden, was wegen der Wahl im Oktober erst am 19. November passieren soll.

In der brasilianischen Verfassung von 1988 ist die Umwelt und damit auch die Wälder sehr weitgehend geschützt. So soll z.B. der Umweltschutz bei jeder wirtschaftlichen Tätigkeit berücksichtigt werden. Er hat den gleichen Rang wie folgende Prinzipien: Nationale Souveränität, Privateigentum, freier Markt, Verbraucherschutz, etc.. Mit der Aufnahme umweltrechtlicher Grundsätze in die Verfassung ist das Außerkraftsetzen der bestehenden Normen erschwert, wodurch ein hohes Maß an Stabilität entsteht und der Umweltschutz zu einem elementaren Grundpfeiler der Rechtsordnung wird.
Das hat zur Folge, dass jede Interpretation und Auslegung des geltenden Rechts die Erhaltung der Umwelt berücksichtigen muss.
Ein Rechtsvergleich ergibt sogar, dass die brasilianische Umweltverfassung weit über die entsprechenden Regelungen des deutschen Grundgesetzes hinausgehen.
Leider sind mit guten Gesetzen allein nicht alle Probleme gelöst, denn die praktische Rechtsdurchsetzung ist das Hauptproblem bei der Zerstörung des Regenwalds in Brasilien.

Die Regierung Lula verfolgt eine traditionelle Entwicklungspolitik, die in der großen Fläche des Landes „einzelne“ Umweltfrevel in Kauf nimmt, als wären sie im großen Ganzen kompensierbar. Besonders deutlich wird dies bei der starken Förderung von exportorientierter konventioneller Landwirtschaft (Soja, Rindfleisch, Agrotreibstoffe, etc.) und der stetigen Ausweitung der Energieproduktion (v.a. Großwasserkraftwerke), auch wenn beides zu Lasten des Regenwalds geht.

Das Waldschutzgesetz Codigo florestal, das in seiner heutigen Form seit 1965 existiert, regelt Nutzung und Schutz des brasilianischen Waldes. In ihm sind Schutzzonen für Wälder und Flüsse in unterschiedlichen Naturräumen Brasiliens festgelegt. LandbesitzerInnen in der Amazonasregion dürfen 20% ihres Landes abholzen, die restlichen 80% bleiben unangetastet und stellen die sogenannte „Reserva legal“ dar. Die Existenz dieser Naturwaldinseln soll den Erhalt der Artenvielfalt neben produktiver landwirtschaftlicher Nutzfläche garantieren. Im Feuchtsavannengebiet Cerrado müssen 35% geschützt werden, in den anderen Biomen 20%.
Der dahinter stehende Gedanke ist nicht nur ein reiner Schutzgedanke, sondern der Schutz der Sozialfunktion des Waldes findet hier Eingang ins Gesetz. Trotz privater Eigentumsinteressen Einzelner spendet der Wald positiven Nutzen für alle (Sauerstoff, Schatten, Schutz vor Trockenheit und Erosion, Kohlenstoffspeicher, Wasserschutz und -filter, usw.) und ist dafür zu erhalten. Darum regelt das Gesetz auch permanente Schutzzonen (APP = Áreas de Preservação Permanente) wie z.B. Flussränder, Bergspitzen, Hänge mit über 40% Gefälle, in denen keine Landwirtschaft erlaubt ist, sowie definierte Mindestabstände der Plantagen zu den Wasserwegen.
Für Verstöße sind Geldbußen vorgesehen und zuviel abgeholzte Gebiete müssen wieder aufgeforstet werden. So steht es im Gesetz.
Auch hier klafft ein Spalt zwischen den wohlmeinenden gesetzlichen Vorgaben und der tatsächlichen Durchsetzungskraft des Staates, der erst in den letzten Jahren mit der Strafverfolgung gegen illegale Abholzungen begonnen hat.
Immer wieder gibt es Vorstöße durch die Agrarlobby, den Schutzaspekt des Codigo forestal aufzuweichen und das Gesetz gegen Umweltkriminalität zu verwässern. Man behindere die notwendige landwirtschaftliche Expansion mit Hilfe von übertriebenen Umweltgesetzen und kriminalisiere die Landbesitzer– so die Sichtweise derer, die nun eine Änderung herbeiführen wollen.

Die Änderungsforderungen der Agrarlobby umfassen Strafffreiheit für alle, die bis Juli 2008 illegal Wald abgeholzt haben. Greenpeace schätzt, dass dem Staat durch diese Amnestie rund 3,5 Mrd. Euro an Geldstrafen entgehen. Die Reduktion von Schutzgebietsflächen und die Verkürzung der Mindestabstände von Plantagen zu den Wasserwegen stehen ebenfalls im Änderungsvorschlag.
Bislang wurden APPs an Flussrändern ausgewiesen, während die Wasserpegel hoch und die Flüsse breit waren. Nach der Änderung soll die Ausweisung der Schutzzone während der Trockenperiode stattfinden, was besonders im Pantanal zu einem drastischen Schutzflächenverlust führen würde, da dort 90% des Landes jahreszeitlich schwankenden Überflutungen ausgesetzt sind.
Farmen bis 400 Hektar Größe sollen von den Regelungen des Codigo florestal ganz ausgenommen werden. Wer will allerdings kontrollieren, dass nicht eine Schein-Zersplitterung von Großgrundbesitz auf viele kleine Eigentumsflächen stattfindet, die dann alle frei von Waldschutzauflagen ihre Flächen abholzen könnten? Es existiert in Amazonien keine Obergrenze für die Anzahl an Ländereien, die zu einer Immobilie gehören dürfen. (Anmerkung: Es könnte im September eine Volksabstimmung über eine Obergrenze des Landbesitzes in Brasilien geben: http://www.limitedaterra.org.br)
Mit dem Änderungsvorschlag sollen die einzelnen Bundesstaaten das Recht auf regionsspezifische Sonderregelungen erhalten. Damit würde der Wald zum Spielball politischer Interessen und seine Sozialfunktion würde weiter beschnitten.
Rafael Cruz, der Koordinator der Greenpeace-Kampagne zum Erhalt des Codigo florestal geht sogar soweit, das neue Gesetz ein Entwaldungsgesetz zu nennen. Die neuen Planungen widersprechen auch dem staatlichen Programm ZEE (Zoneamento Ecológico-Econômico), das die bereits illegal abgeholzten Flächen der Reserva Legal wieder aufforsten soll. Im neuen Entwurf sollen statt einheimischer Baumarten auch Exoten und sogar Nutzpflanzen zur Aufforstung zugelassen werden, ohne dass diese einen regionalen Nutzen bedeuten müssen (so der ursprüngliche Gedanke). Mit Eucalyptus, Zuckerrohr, Soja, u.a. wird „gewinnbringende Vegetation“ dem Primärwald vorgezogen.
Wenn man neben dem Waldschutz noch den Klimaschutz berücksichtigen will, bei dem die brasilianische Regierung auf internationaler Bühne ja hehre Ziele hatte, scheinen die Änderungsvorschläge restlos absurd: Greenpeace und das Amazonasforschungsinstitut IPAM  schätzen, dass durch die teilweise Abschaffung der (bislang nicht zur Abholzung freigegebenen) Reserva legal 25 – 31 Milliarden Tonnen CO2 zusätzlich freigesetzt würden.
Damit wären Brasiliens Emissionsziele von Kopenhagen zunichte gemacht.