Rückbau bruchgefährdeter Tailing-Dämme in Brasilien verzögert sich

Der brasilianische Bergbaukonzern Vale braucht wohl noch 13 Jahre zum Rückbau der gefährlichen Upstream-Tailings.
| von Christian.russau@fdcl.org
Rückbau bruchgefährdeter Tailing-Dämme in Brasilien verzögert sich
Upstream-Tailing Minas Gerais. Foto: christian russau

Die beiden Dammbrüche der Rückhaltebecken der Eisenerzminen von Mariana im Jahre 2015 und Brumadinho im Jahr 2019 schockten die Welt und warfen eindringliche Blicke auf den umweltzerstörerischen und sozialunverträglichen Bergbau in Brasilien. Nach dem Bruch von Brumdainho mit 270 Toten erließen die Behörden Gesetze, die den Rückbau der bruchgefährdetsten Bauart dieser Tailings, die nach dem sogenannten Upstream-Verfahren gebaut wurden, bis August 2021 für inaktive Bauwerke und August 2023 für solche, die noch in Betrieb sind, umzusetzen. Doch die Bergbaukonzerne halten diese Frist nicht ein. Die Regierungen auf Bundes- und Landesebene verlängerten die Fristen, doch neuesten Zahlen zufolge geht selbst Brasiliens größter Bergbaukonzern Vale davon aus, dass der Rückbau bis mindestens 2035 dauern werde. Dies berichtet die staatliche Medienagentur Agencia Brasil.

Rückblicke

Es war der 25. Januar 2019. Ein Damm eines Rückhaltebeckens für die Erzschlammreste der Mine Córrego do Feijão brach. Die Betreiber- und Eigentümerfirma von Mine und Rückhaltebecken, die brasilianische Bergbaufirma Vale, erklärte, in dem gebrochenen Becken hätten sich 11,7 Millionen Kubikmeter Erzschlammreste befunden. Nachdem der Damm des ersten Rückhaltebeckens gebrochen war, flutete der Erzschlamm den zweiten Damm des nächstgelegenen Rückhaltebeckens und überflutete auch dieses. Danach frass sich der Schlamm wie ein Tsunami weiter bergabwärts, zerstörte alles, was ihr in den Weg kam. Die Erzschlammwelle hatte unter anderem ein Betriebskantine mit sich gerissen, in der gerade viele Arbeiter:innen zu Mittag aßen, Busse, in denen Arbeiter:innen saßen, die von oder zur Betriebsschicht fuhren, wurden unter den Schlammmassen begraben. Mindestens ein Dorf wurde zerstört, auch kleine indigene und Quilombola-Territorien litten hinterher monatelang unter der schlechten Wasserqualität der in Mitleidenschaft gezogenen Flüsse.

Die Mine und das Rückhaltebecken gehören dem brasilianischen Bergbaukonzern Vale S.A. Die Mine Córrego do Feijão samt Rückhaltebecken wurde 1956 von der Companhia de Mineração Ferro e Carvão in Betrieb genommen, 1973 wurde sie in die Thyssen-Tochterfirma Ferteco Mineração integriert, bevor sie 2003 von Vale S.A. übernommen wurde. Den 2019 gebrochenen Damm gebaut hat im Jahr 1976 die Thyssentochter Ferteco Mineração.

Groß war der Aufschrei nach dem Bruch des Dammes des Rückhaltebeckens der Vale-Eisenerzmine der Mine Córrego do Feijão in der Nähe des Dorfes Brumadinho im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais am 25. Januar 2019. So groß, dass selbst industrie-nahe, erzneoliberale Politiker*innen öffentlich erklärten, dass nun nach den zwei Brüchen von Mariana (5. November 2015) und Brumadinho (25. Januar 2019) die bruchanfälligsten unter den Dammkonstruktionen für Tailings (also Rückhaltebecken für meist verflüssigte Bergbauabfälle) die sogenannten "Upstream"-Dämme künftig nicht mehr zugelassen werden und, mehr noch, die bestehenden bis 2021 zu deaktivieren und zurückzubauen seien. Diese Entscheidung, die unter medialem Druck, aber gleichwohl geschickt öffentlichkeitswirksam von der erzneoliberalen Bolsonaro-Regierung in Form ihres damaligen Umweltministers Salles kurz nach dem Brumadinho-Bruch verkündet worden war, wurde bereits wenige Monate später, im August 2019, gekippt. Die Regierung lockerte die Rückbauverpflichtung für Rückhaltebeckendämme bei noch aktiven Minen auf August 2023. Bereits damals schon war offensichtlich: Ist die mediale Aufmerksamkeit gesunken, einige Zeit verstrichen, dann obsiegt wieder das industriefreundliche Interesse über den Schutz von Natur und Mensch.

Verschleppung des Rückbaus und gezieltes Landgrabbing

Vor einigen Monaten unterzeichnete nun das Bergbauunternehmen Vale eine Vereinbarung mit der Landesstaatsanwaltschaft von Minas Gerais (MPMG), in der es sich bereit erklärte, eine Entschädigung in Höhe von 236 Millionen R$ (derzeit umgerecnet 45 Millionen Euro) für die Nichteinhaltung der im Staatsgesetz 23.291/2019, dem sogenannten Mar de Lama Nunca Mais-Gesetz (in etwa "Meer aus Schlamm Nie Wieder-Gesetz"), festgelegten Fristen zu zahlen. Der aktuelle Zeitplan der Firma Vale, den Agência Brasil diese Woche einsehen konnte, zeigt, dass 40 % der Strukturen noch in diesem Jahr beseitigt werden, aber in einigen Fällen werden die Prozesse deutlich mehr Zeit erfordern. Der neue Rückbauplan von Vale zur Abschaffung aller Dämme, die nach der Methode des stromaufwärts gerichteten Upstream-Verfahrens gebaut wurden, sieht den Abschluss dieses Prozesses bis 2035 vor.

Die Liste der Tailing-Dämme im Land, die sich in einer kritischen Notsituation - also bruchgefährdet sind - befinden, ist nach einer Durchsicht durch die Nationale Bergbaubehörde (ANM) und andere Kontrollbehörden derweil angewachsen. Mehrere Tailingdämme haben ihr Stabilitätszertifikat verloren, was die Abschaltung und automatische Aktivierung der Notfallstufe 1 erfordert. In Fällen, die als Stufe 2 oder 3 eingestuft wurden, waren die Bergbauunternehmen verpflichtet, die Evakuierung des gesamten Geländes, das bei einer eventuellen Tragödie überflutet würde, zu organisieren und die Bevölkerung wiederherzustellen. Vielerorts kämpfen die betroffenen Anwohner noch immer vor Gericht um Entschädigung. Nicht selten werfen die Betroffenen der Firma vor, die Situation auszunutzen und durch gezieltes Schüren von Panik unter der Bevölkerung geschicktes Landgrabbing zu betreiben.


// Christian Russau