Neuer Staatssekretär bricht Dialog mit MST

Inmitten der Militarisierung und Demontage der für die Agrarreform verantwortlichen Institutionen verteidigt der neue Staatssekretär für Landfragen, Luiz Antônio Nabhan Garcia, im Interview mit der Zeitschrift Veja die Ermordung von Landlosen und kündigt an, er werde die Schulen des MST schließen.
| von Mareike Wiegels und Janailson Almeida
Neuer Staatssekretär bricht Dialog mit MST

Militarisierung der Landfrage
Die neuen Frontmänner der Bolsonaro Regierung in den für Agrarreform zuständigen staatlichen Institutionen tragen Tarnfarben-Uniform und Waffen: Ein Drittel der Führungspositionen in den Ministerien ist nun besetzt mit ehemaligen oder aktiven Mitgliedern des Militärs. Das INCRA ( Instituto Nacional de Colonização e Reforma Agrária, Nationales Institut der Kolonialisierung und Agrarreform), verantwortlich für die Registrierung und Verwaltung von Land, hat nun als Präsidenten einen General namens João Carlos Corrêa . Ein Coronel , João Miguel de Sousa, ist der neue Amtsträger des Richteramtes, verantwortlich für die Anhörung von Anklagen in Landkonflikten. Die FUNAI ( Fundação Nacional do Índio ), die die traditionell von indigenen Völkern bewohnten Gebiete erfassen und schützen soll, ist nun unter dem Kommando von General Franklimberg Ribeiro de Freitas - auch ehemaliger Berater der kanadischen Bergbaufirma Belo Sun Mining. Luiz Antônio Nabhan Garcia, der als neuer Staatssekretär für Landfragenverantwortlich sein wird für die Demarkation von Indigenem- und Quilombola-Land sowie für die Verhandlungen mit sozialen Bewegungen wie der MST, ist kein Militär.
Mit seiner Rhetorik passt Nabhan Garcia, der nebenbei Präsident der União Democrática Ruralista (UDR), einem Lobbyverein von Großgrundbesitzern ist, trotzdem gut ins Bild: In einem Interview mit Veja vom 16. Januar 2019 nennt er die MST eine “illegale Organisation”, eine “Armee von Banditen, von Außergesetzlichen” und vergleicht sie mit den Drogenbanden PCC ( Primeiro Comando da Capital ) und Comando Vermelho. Er erklärt, er werde keinen Dialog mit der MST führen und die Strafen für die “illegalen Besetzungen” der MST müssten verschärft werden. Das Land, das 350.000 Familien der MST in den letzten drei Jahrzehnten zugeteilt wurde, müsse erneut überprüft und könne ihnen wieder weggenommen werden.


Straflosigkeit für Ermordung von KleinbäuerInnen
Außerdem verteidigt Nabhan Garcia das “Recht” der Großgrundbesitzer, Schusswaffen gegen “Eindringlinge” zu benutzen. Im Interview mit Veja sagt er: “Manchmal, in der unmittelbaren Gefahr getötet zu werden, seinen Sohn ermordet oder sein Besitz in Brand gesteckt zu sehen, geht ein Großgrundbesitzer hin und tötet einen Landlosen. Was passiert am nächsten Tag? Der Verstorbene wird zum Märtyrer, und der, der geschossen hat, wird zum Bösewicht, wird zum Angeklagten, bekommt dreißig Jahre Gefängnis. Es ist alles verdreht”. Diese Einstellung vertritt die UDR seit ihrer Entstehung als organisierte und gewaltvolle Antwort der Großgrundbesitzer auf die ländlichen sozialen Bewegungen in den 1960er Jahren. Nabhan Garcia, als Präsident der UDR, ist Teil eines kontinuierlichen Projektes der Vertreibung und Ermordung von Mitgliedern der ländlichen Bewegungen wie der MST. In den 1990ern und Anfang der 2000er war er beteiligt an der Organisation von privaten Milizen und Beschäftigung von Scharfschützen zu diesem Zweck. Die Zahl der Ermordungen von Kleinbauern, Indigenen und Quilombolas ist extrem hoch: Zwischen 1985 bis 2017 wurden 1,904 Menschen registriert, die in Landkonflikten in Brasilien umgebracht wurden. Die Straflosigkeit fördert die Gewalt auf dem Land: Nur 8% der Beschuldigten wurden bis jetzt vor Gericht verurteilt (31Auftraggeber und 94 Ausführende der Ermordungen). Die von der Comissão Pastoral da Terra (CPT, Kommission der Landpastorale) erfassten Daten der Massaker und Ermordungen auf dem Land zeigen einen starken Anstieg der Morde ab dem Jahr 2015. 2017 wurden 70 Ermordungen registriert, 40% davon bei Massakern (die Ermordung von mehr als drei Personen gleichzeitig), die höchste Zahl seit 2003. 2018 stieg die Zahl der Ermordungen auf 108 Personen, wobei das CPT registrierte, dass 54% der Ermordeten Anführer von Bewegungen waren (im Vergleich zu 22% im Jahr 2017).


Die Notwendigkeit der Besetzungen im Prozess der Landumverteilungen

Der von Nabhan Garcia geäußerte Vorwurf, die MST würde sich unrechtmäßig private Grundstücke aneignen, ist falsch. Tatsächlich ist privater Grundbesitz an die Erfüllungspflicht eines sozialen Nutzens gebunden und der vorgesehene Prozess der Enteignung und Umverteilung ist definiert in dem 1964 erlassenen Gesetz Estatuto da Terra sowie in Artikel 154 und 148 der Verfassung von 1988. Seit 1988 ist das staatliche Institut INCRA verantwortlich dafür festzustellen, welche Besitztümer unproduktiv sind, sich durch gefälschte Eigentumstitel ( grilagem ), Steuerhinterziehung, sklavereiähnliche Arbeitsbedingungen oder Umweltverbrechen im Zustand der Illegalität befinden und demzufolge umverteilt werden müssen. Da dies ohne Druck “von unten” jedoch nicht passiert, sind die Besetzungen der MST wichtige Methoden, um die staatlichen Institutionen aufzufordern, ihre Pflicht zu erfüllen.

Im Erfolgsfall benachrichtigt das INCRA daraufhin den Großgrundbesitzer und das zuständige Ministerium über die Missverhältnisse. In einem juristischen Prozess, der oft mehrere Jahre dauert, wird festgestellt, ob im konkreten Fall die Voraussetzungen für Enteignung und Umverteilung erfüllt sind. Im Falle einer Enteignung ist das INCRA zuständig für die Zuteilungen der Grundstücke und den Ausbau der Infrastruktur sowie die Einstellung von technischen Beratern, um die neu entstehenden Gemeinden in ihren Investitions- und Entwicklungsprojekten zu unterstützen (PRONAF, Nationales Programm zur Stärkung Familiärer Landwirtschaft).


Verdienste der MST auf dem Land
Die Landbesetzungen des MST, die Nabhan Garcia als “Invasionen” darstellt, sind daher legitim und haben historisch eine enorm wichtige Rolle in den strukturellen Veränderungen des Landes gespielt. Viele Gebiete, die unproduktiv waren, wurden
durch die Bewegung verändert, die Kooperativen der Bewegung zahlen Steuern, verkaufen auf Märkten und in Läden und spenden Lebensmittel. Die ökologische Produktion der 100 Kooperativen, 96 Agrarindustrien und 1,900 Genossenschaften der MST, mittlerweile der größte Produzent von Bio-Reis in Lateinamerika und der größte Produzent von Bio-Produkten in Brasilien, wäre nicht möglich gewesen ohne die Landbesetzungen. Genauso wenig wie die durch den kollektiven Prozess geschaffene soziale Gleichberechtigung im Zugang zu gesunden Lebensmitteln, Wohnraum, Arbeit, Bildung, und Kultur.
Mehr als 200.000 Kinder, Jugendliche und Erwachsene haben dank der Schulen der MST auf besetztem und durch Agrarreform zugeteiltem Land Zugang zu Bildung in Kindergärten, Grundschulen, Hochschulen und zu technischen Ausbildungen.
Viertausend Lehrer arbeiten an den Schulen, mehr als 250 ErzieherInnen in den Kindergärten. Die Schulen der Bewegung sind fundamental für die Alphabetisierung auf dem Land: Fünfzigtausend Erwachsene lernten durch die selbstorganisierten Kurse der Bewegung Lesen und Schreiben. Die zweitausend Schulen der MST, die zum Großteil durch den staatlichen Bildungsund Kulturrat anerkannt sind, nennt Nabhan Garcia “kleine Diktatorenfabriken”, die ihm zufolge geschlossen werden sollen. “Es geht nicht, dass marxistische, leninistische, bolivarianische Schulen zugelassen werden, die Kindern beibringen, Privatbesitz zu invadieren und Verbrechen zu begehen. Wir werden die Schulen schließen und die Verantwortlichen für die Indoktrination bestrafen. Außerdem muss das als Verbrechen eingestuft werden, als Hochverrat”, so Nabhan Garcia.


Dieser Text ist Teil eines regelmäßigen Newsletters der FreundInnen der brasilianischen Landlosenbewegung MST e.V. und treemedia e.V.
Kontakt: amigas@mstbrasilen.de

Autorinnen: Mareike Wiegels und Janailson Almeida