"Gesetzesprojekt der Verwüstung": Flexibilisierung der Umweltgesetzgebung in Senatsausschüssen verabschiedet

Das sogenannte "Generalgesetz zur Umweltlizenzierung" 2159/21 wurde gestern (20. Mai 2025) von den Ausschüssen im brasilianischen Senat für Umwelt und für Landwirtschaft mehrheitlich angenommen. Medienberichten plant die konservative Mehrheit im Senat, die Verabschiedung des Gesetzes gleich auf die heutige Agenda des Plenums zu setzen. Menschenrechtsverteidiger:innen und Umweltschützer:innen sehen in den u.a. im Gesetz vorgesehenen Maßnahmen wie der deklaratorischen Selbstermächtigung der Unternehmen zur Ausstellung der Umweltgenehmigung ein massives Einfallstor zur deutlichen Beschneidung der Rechte von indigenen und weiteren traditionellen Völkern und Gemeinschaften sowie eine Bedrohung der bestehenden Schutzgebiete in Brasilien.
| von Christian.russau@fdcl.org
"Gesetzesprojekt der Verwüstung": Flexibilisierung der Umweltgesetzgebung in Senatsausschüssen verabschiedet
Wann hat ein Projekt "große", wann "kleine", wann "mittlere" Auswirkungen? Und wer entscheidet darüber im Umweltgenehmigungsverfahren? (Symbolbild: hier Samarco-Gelände bei Mariana). Foto: christian russau (2016))

Seit vielen Jahren, genau genommen seit dem Jahr 2004 wird im brasilianischen Nationalkongress, in seinen zwei Kammern, Abgeordnetenhaus und Senat, um ein "Generalgesetz zur Umweltlizenzierung" gestritten. Ab dem Jahr 2004 wurde es im Abgeordnetenhaus unter der Gesetzesvorschlagsnummer PL 3729/04 geführt und nach Jahren der Debatte in den verschiedenen zuständigen Kommissionen dann im Jahr 2021 im Plenum der Abgeordnetenkammer auf massiven Druck und Einfluss und Stimmenmehrheit der ruralista-Fraktion verabschiedet (KoBra berichtete), bevor es als PL 2159/21 im Senat zu verhandeln begonnen wurde. Gestern nun wurde das "Generalgesetz zur Umweltlizenzierung" 2159/21 von den Ausschüssen im brasilianischen Senat für Umwelt und für Landwirtschaft mehrheitlich angenommen. Dies berichtet das brasilianische Umweltnachrichtenportal OECO. Medienberichten plant die konservative Mehrheit im Senat, die Verabschiedung des Gesetzes gleich auf die heutige Agenda zu setzen.

Umwelt- und Menschenrechtsgruppen brandmarken das Gesetzespaket seit Jahren als "Pacote da Destruição" (Paket der Zerstörung"), aktuell läuft eine zivilgesellschaftliche Dringlichkeitskampagne gegen das Gesetz unter dem Titel "PL da Devastação" ("Gesetzesprojekt der Verwüstung"). Dort warnt die die Urgent-Action startende Koalition aus über 50 brasilianischen Nichtsregierungsorganisationen: "Die Gesetzesvorlage 2159/21, bekannt als Gesetzesprojekt der Verwüstung, könnte in weniger als 24 Stunden im Senat abgestimmt werden und würde, wenn sie angenommen wird, den Bau von Großprojekten ohne die Notwendigkeit von Studien ermöglichen, die heute die Gesundheit und das Wohlergehen von Menschen und Ökosystemen gewährleisten sollen. Ohne Umweltgenehmigungen werden sich Katastrophen wie die in Mariana und Brumadinho (MG) häufen, und das Szenario ist düster: Hunderte von Todesopfern, Gemeinden, Flüsse, Meere, Wälder und ganze Biome werden verbrannt, abgeholzt und zerstört."

Zentraler Dreh- und Angelpunkt der Gesetzesinitiative liegt in der von den Befürworter:innen gebetsmühlenhaft beschworenen "Flexibilisierung" und "Entbürokratisierung" der brasilianischen Umweltgesetzgebung. So soll das bisherige dreistufige Umweltgenehmigungsverfahren aus vorläufiger Lizenz („licença prévia“), Niederlassungslizenz („licença de instalação“) und Betriebsgenehmigung („licença de operação“) reformiert werden. So dürften Unternehmen sich für ihre Bauvorhaben mit vorab geschätzten "niedrigeren" oder "mittleren" Umweltfolgen eine Art Selbst-Erteilung der Baugenehmigung ausstellen. Diese "licença autodeclaratória" – offiziell genannt "Licença por Adesão e Compromisso (LAC)" – würde dann z.B. greifen, so die Kritiker:innen, wenn es um die Asphaltierung einer bereits bestehenden Straße gehe, da diese ja schon da sei, so z.B. bei der extrem von brasilianischen Umwelt- und Menschenrechtsgruppen kritisierten Planung zur Asphaltierung der BR-319 zwischen Manaus und Porto Velho, "das den 'Bogen der Entwaldung' mit einem der am besten erhaltenen Gebiete des Amazonas im so genannten „mittleren Abschnitt“ der Autobahn verbindet. Ohne eine sorgfältige Überwachung würde das Projekt nach Ansicht von Forschern und Umweltschützern den Wald stark zerstören. Diese „indirekten“ Auswirkungen könnten übrigens bei der Ausarbeitung der Umweltbedingungen nicht berücksichtigt werden, so der Gesetzesentwurf, der vorsieht, dass nur die direkten Auswirkungen der Arbeiten selbst zu berücksichtigen sind. Nirgendwo im Text wird übrigens der Klimanotstand erwähnt", so OECO.

Zu weiteren vorab als Projekte mit "geringen" oder "mittleren" Auswirkungen eingeschätzten Vorhaben, die das Selbst-Erklärungs-Umweltgenehmigungsverfahren für sich in Anspruch nehmen könnten, könnte so der Bau von vermeintlich "kleinen" Wasserkraftanlagen PCH als zutreffend unter das PL 2159-Gesetzesvorhaben definiert werden. Zur Erinnerung: Kleinwasserkraftprojekte werden meist als umweltfreundliche Alternativen zu größeren Staudämmen gefördert und als „harmlos“ wegen ihrer geringen Größe propagiert. Vor allem in Brasilien führt dies oft dazu, dass in einem Wassereinzugsgebiet eine Vielzahl an Kleinwasserkraftwerken gebaut werden, ohne dass hinreichend darauf geachtet wird, welche kumulativen Effekte diese Kaskaden an Kleinwasserkraftwerken auf Flora, Fauna und Mensch bewirken. Es gibt keine international gültige Definition eines „Kleinwasserkraftwerks“. Was als Kleinwasserkraftwerk zählt, variiert von Fall zu Fall. Laut der International Commission on Large Dams sind alle Staumauern ab 15 Metern Höhe vom Fundament bis zur Krone oder von 5 bis 15 Metern mit einem Reservoir von mehr als drei Millionen Kubikmetern Großstaudämme. In vielen Ländern wird dagegen eine Megawattzahl zur Klassifizierung herangezogen: In der Regel werden demnach Kraftwerke bis zehn MW Nominalkapazität als Kleinwasserkraftwerke angesehen, von zehn bis 30 MW gelten sie als mittelgroße Kraftwerke. Länder mit besonders hohem Wasserkraftpotenzial wie Brasilien und China betrachten dagegen alle Kraftwerke bis 30 MW als „klein“, wie dem Handbuch Kleinwasserkraftwerke des Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK / Bundesamt für Energie BFE: Handbuch Kleinwasserkraftwerke. Informationen für Planung, Bau und Betrieb, Ausgabe 2011 entnommen werden kann. In Indien gelten Kleinwasserkraftwerke als „klein“, solange sie unter 25MW Größe haben.

Laut der Analyse von OECO und den Umwelt- und Menschenrechtsgruppen, die die Kampagnenwebseite "PL da Devastação" aufgezogen haben, würden auch viele Bergbauvorhaben unter das vereinfachte Verfahren fallen. Die Gruppen erinnern mit Nachdruck an die Erfahrungen mit brasilianischen Bergbaukatastrophen wie Mariana (2015) und Brumadinho (2019). "In seiner jetzigen Form droht das Gesetz nicht nur die Umweltverschmutzung, die Entwaldung, die Treibhausgasemissionen und den Verlust der biologischen Vielfalt zu verstärken, sondern auch die sozialen Ungleichheiten", fasst die NGO Observatório do Clima die Kritik an dem Gesetzesvorhaben zusammen. Der Gesetzesentwurf sei "voller Verfassungswidrigkeiten, fördert die regulatorische Zersplitterung zwischen Staaten und Gemeinden und schafft ein Szenario der Rechtsunsicherheit, das als einen seiner Haupteffekte eine Flut von Gerichtsverfahren nach sich zieht", so die Organisation, die den Gesetzesentwurf als "mãe de todas as boiadas" bezeichnet.

// Christian Russau

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