UN-Konferenzmarathon in Brasilien

Im März fanden in Brasilien mehrere UN-Konferenzen statt, die das Thema Ernährungssicherung eng berühren.
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Vom 07.-10. März lud die Food and Agriculture Organization (FAO) der Vereinten Nationen in Porto Alegre zur Internationalen Konferenz für Agrarreform und Ländliche Entwicklung (International Conference on Agrarian Reform and Rural Development, ICARRD) ein. Kurz darauf, vom 13.-17. März, fand in Curitiba das dritte Treffen der Unterzeichnerstaaten des Cartagena-Protokolls über Biologische Sicherheit (Meeting of the Parties, MOP 3) statt. Und vom 21. bis 30. März trafen sich die Vertragspartner der Konvention für Biologische Sicherheit (CBD) zur COP 8 (Conference of the Parties; siehe auch Bericht zu Tropenwaldfragen von April 2006). Etliche der auf diesen Konferenzen getroffenen Entscheidungen haben unmittelbare Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit.

Die Internationale Konferenz für Agrarreform und Ländliche Entwicklung - ICARRD
Die Internationale Konferenz der FAO für Agrarreform und Ländliche Entwicklung vom 07.-10. März in Porto Alegre zielte vor allem darauf, den internationalen Dialog zu Agrarreformen voranzutreiben und dabei einen Erfahrungsaustausch über die Bemühungen zu Agrarreformen in verschiedensten Ländern zu gewährleisten.Die Minister der 96 anwesenden Staaten stellten Länderberichte vor und zwei parallele Kommissionen beschäftigten sich mit den Themen Agrarreform und Zugang zu Land sowie Ländliche Entwicklung und Armutsminderung. Zum Thema Agrarreform, soziale Gerechtigkeit und nachhaltige Entwicklung gab es eine Diskussion mit NGO-Vertretern, und in zahlreichen in Arbeitsgruppen wurden spezielle Themen behandelt.
Die Abschlusserklärung der ICARRD betont die wichtige Stellung von Agrarreformen bei Hungerbekämpfung und nachhaltiger Entwicklung. Erstmalig bezog sich die FAO offiziell auf den Terminus Ernährungssouveränität. Die Erklärung nimmt Bezug auf die Freiwilligen Richtlinien zum Recht auf Nahrung und auf wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte. Auch fordert sie die Armutsorientierung von Agrarreformen und betont die zentrale Rolle von Staaten, lokalen und regionalen Märkten sowie die Beteiligung und internationale Unterstützung von Betroffenenorganisationen. Zur Förderung von Agrarreformen will die FAO in einem Internationalen Observatorium Daten sammeln und auswerten sowie eine dauerhafte Plattform für Zusammenarbeit und Monitoring von Agrarreformen schaffen. Über Partnerschaftsinitiativen soll der Erfahrungsaustausch zwischen den Ländern vertieft werden. Die bislang noch eher vagen Empfehlungen der Konferenz sollen im September im Committee on World Food Security (CFS) der FAO und im November beim FAO-Rat konkretisiert werden. Die Abschlusserklärung der ICARRD wurde sowohl von deutschen als auch von brasilianischen NGOs als Erfolg gewertet, da das Thema Agrarreform durch die Konferenz nach Jahrzehnten wieder internationales Parkett betrat und die Abschlusserklärung einen klaren Bezug von Agrarreformen zu Armutsbekämpfung und Ernährungssouveränität herstellt.

Die Vertragsstaatenkonferenz zum Cartagena-Protokoll - MOP 3
Auf dieser Konferenz vom 13.-17. März in Curitiba sollten sich die Beteiligten auf gemeinsame Vorschriften zur Umsetzung des seit September 2003 in Kraft getretenen Cartagena-Protokolls einigen. Das Cartagena-Protokoll hat Völkerrechtsstatus und soll den grenzüberschreitenden Handel mit genetisch veränderten Organismen (GVO) zu Ernährungs- und Futtermittelzwecken regeln. Inzwischen sind bereits 132 Staaten dem Abkommen beigetreten, darunter allerdings nicht die größten Getreideexporteure wie Kanada, die USA, Argentinien und Australien. Leider sind diese zugleich die Hauptbetreiber und -befürworter von Gentechnik in der Landwirtschaft.
In diesem Jahr sollten die Vertragsstaaten vor allem eine gemeinsame Position zur Dokumentierung (Kennzeichnung loser Ware wie bspw. Getreide) von GVO im internationalen Handel finden. Strittig war seit 2004, ob die Dokumentierung "enthält GVO" oder die vagere Formulierung "könnte GVO enthalten", vereinbart werden sollte. Die Dokumentierungsauflage "enthält GVO" könnte einer unkontrollierten Ausbreitung gentechnisch veränderter Organismen entgegen steuern.
Seit dem ersten Treffen 2004 war die Diskussion um die Dokumentation nicht vorangekommen. Damals war Brasilien noch Teil der sogenannten "Gruppe der Gleichgesinnten", der Mehrheit der Vertragsstaaten, die eine klare Dokumentierungspflicht forderten. Doch dann ließ das Land selbst gentechnisch veränderte Soja zu, und es änderte seinen Standpunkt. Gemeinsam mit Neuseeland war Brasilien auf der MOP 2 in Montreal 2005 der stärkste Gegner einer eindeutigen Dokumentierung "enthält GVO".
Am Eröffnungstag der dritten Konferenz legte die brasilianische Regierung dann überraschend den Vorschlag für eine klare Dokumentierung "enthält GVO" vor, mit einer Übergangsfrist von vier Jahren für diejenigen Produkte, bei denen ein genauer Nachweis nicht möglich ist - bspw. weil das Land nicht über die technischen Voraussetzungen verfügt. Dieser Vorschlag brachte die Verhandlungen wesentlich voran. Die Vertragsstaaten einigten sich letztlich darauf, dass Lieferungen mit GVO ab sofort die Dokumentierung "enthält GVO" erhalten müssen, wenn Ortung, Trennung und Identifizierung möglich sind. Für die übrigen gilt nun eine Übergangszeit von sechs Jahren. Diese sollen mit "könnte GVO enthalten" dokumentiert werden.
Mexiko als stärkster Gegner neben Neuseeland, Kolumbien, Peru und Paraguai erwirkte in letzter Sekunde die Ausnahmeregelung, dass die Vereinbarung nur für den Handel zwischen zwei Unterzeichnerstaaten Anwendung finden soll, nicht aber, wenn der Handel mit einem Nicht-Unterzeichnerstaat stattfindet, wie bspw. den USA; wohin Mexiko viel exportiert. Gegen diese Sonderregelung hatte sich Brasilien bis zum Schluss eingesetzt. Sie könnte zur Folge haben, dass die großen Nichtunterzeichnerstaaten wie die USA, aber auch Australien und Kanada, versuchen, bilaterale Verträge abzuschließen, die die Regelungen des Cartagena-Protokolls umgehen, und so einer unkontrollierten Ausbreitung von GVO Vorschub leisten.
Da Brasilien bereits die gentechnische Analyse seiner Sojaexporte vornimmt, hat es die Regierung nicht viel Mut gekostet, die eindeutige Kennzeichnung zu fordern. Lula konnte sich hiermit im Gegenteil sowohl auf internationalem Parkett als auch bei den sozialen Bewegungen viele Freunde machen und eine konstruktive Haltung demonstrieren, was angesichts der bevorstehenden Wahlen sehr nützlich sein könnte. Zugleich aber hat sich das Land gegenüber den internationalen Saatgutfirmen auch nicht viel vergeben, da die Ausbreitung der Gentechnik durch die Übergangsregel noch längst nicht eingedämmt ist - und schon gar nicht mit der Sonderregelung für die Nichtunterzeichnerstaaten.
Insgesamt bezeichneten die auf dem gleichzeitig stattfindenden Globalen Forum der Zivilgesellschaft anwesenden sozialen Bewegungen die Einigung und auch die Haltung Brasiliens zwar als einen großen Fortschritt im Vergleich zum Vorjahr. Nachdem sie den brasilianischen Vorstoß im ersten Moment vielfach sogar bejubelt hatten, übten sie jedoch scharfe Kritik an der Übergangsregelung - sei sie nun vier oder sechs Jahre lang. Während der beschlossenen sechs Jahre, in denen viele Güter auch noch die Dokumentierung "könnte GVO enthalten" tragen können, hat man bei diesen Erzeugnissen weiterhin keine Sicherheit, ob sie gentechnikfrei sind oder nicht. Somit besteht weiterhin ein großes Risiko der Kontamination konventioneller Saat mit gentechnisch verändertem Saatgut. "Mit anderen Worten erlaubt die Regierung für weitere vier Jahre die freie Kontamination", kommentierte Jean Marc van der Weid, Koordinator der Kampagne für ein gentechnikfreies Brasilien, den ursprünglichen Vorschlag der brasilianischen Regierung, "dies kann ausreichen, damit wir bei einem Belastungsniveau ankommen, das es nicht mehr erlaubt, die Produktion von Genprodukten zu kontrollieren - und das in einem unumkehrbaren Prozess". Dies gilt bei sechs Jahren natürlich umso mehr. Wesentlich positiver schätzte der Agrarexperte Rudolf Buntzel vom EED die Verhandlungsergebnisse ein: "Damit ist für die Agrarmärkte eine wesentliche Informationslücke geschlossen worden", sagte er, "endlich gibt es für Entwicklungsländer eine völkerrechtliche Grundlage, sich gegen das Dumping von unkontrolliert gemischten, nicht zugelassenen und gentechnisch verschmutzten Nahrungsmitteln mit genetisch modifizierten Organismen zu schützen". So weit jedenfalls, wie die WTO dies zulässt.
Auf der Konferenz ging es darüber hinaus auch um Haftungs- und Wiedergutmachungsfragen für durch GVO verursachte Schäden. Hier ist die Debatte noch im Embrionalstadium. So diskutierte man bspw. darüber, ob die Akteure überhaupt zur Verantwortung gezogen werden sollten. Zu klären sind in diesem Bereich außerdem, ob das Verursacherprinzip angewandt werden sollte, wer für Schäden haftbar gemacht werden sollte (ob Exporteure, Importeure, Landwirte, Staaten, Gentech-Firmen etc.), in welcher Form man die Akteure haftbar machen sollte, welche finanziellen Kompensierungsmechanismen und Reklamationsrechte es geben sollte und wo die Grenzen des vertretbaren Schadens liegen sollten. Auf der MOP 3 diskutierten die Staaten aber lediglich einen Textentwurf der technischen Arbeitsgruppe zu Haftungs- und Wiedergutmachungsfragen. Eine Entscheidung ist erst für die nächste Konferenz vorgesehen. Solange also gibt es auch noch keine Haftungsregeln für Schäden durch GVO-Verunreinigungen.
Brasilien setzte sich bei den Diskussionen für eine Haftungsregelung ein, die die ursprüngliche Genmanipulation sowie Verunreinigungen bei Transport und Lagerung umfasst, und die sich sowohl auf absichtliche wie unabsichtliche Verunreinigungen bei der Grenzüberschreitung beziehen soll. Als Schäden sieht Brasilien dabei gesundheitliche und ökonomische Probleme, Schäden der Biodiversität sowie kulturelle Schäden an. So gab es bspw. in Mexiko eine Maissorte, die indigenen Völkern als heilig galt, und die durch Gentechnik verseucht wurde. Auch solch ein kultureller Verlust ist dem brasilianischen Vorschlag gemäß zu entschädigen. Doch wer weiß, ob die derzeitige Regierung bei der Entscheidung auf der MOP 4 überhaupt noch im Amt ist.

Vertragspartnerkonferenz der Konvention für Biologische Sicherheit - COP 8
Das Thema Ernährungssicherung wurde auf der COP 8 vom 21.-30. März in Curitiba vor allem in Bezug auf die Terminatortechnologie berührt (weiteres zur COP 8 siehe Bericht zum Thema Tropenwaldfragen). Diese wurde 1998 erstmalig unter dem Namen "GURTTechnologie" patentiert, befindet sich aber seit 2001 unter einem Moratorium der UNO, da diese die Technologie bislang als unethisch ablehnt. Mit der Terminator-Technologie wird Saatgut derart verändert, dass es nur einmal keimt. Bauern müssen also jedes Jahr neues Saatgut kaufen - was in Entwicklungsländern absolut unüblich ist. Dort sind die Bauern in der Regel auf die Einbehaltung von Teilen ihrer Ernte zum Nachbau angewiesen, denn sie können sich die Zahlung von Patentrechten und Nachbaugebühren an die Saatguthersteller nicht leisten. Die Terminator-Technologie würde somit die Ernährungssicherheit der Bevölkerung akut gefährden.
Ebenso wie GVO können Terminator-Pflanzen natürlich auch in andere Wildund Nutzpflanzen auskreuzen und auf diese Weise zu deren Sterilität führen. Langfristig kann es so zur allgemeinen Unfruchtbarkeit von Saatgut kommen. Gemäß der Anti-Terminator-Kampagne werden derzeit noch weltweit 80% des eingesetzten Saatgutes aus der eigenen Ernte gewonnen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass nur 20% des weltweiten Saatgutmarktes kommerziell erschlossen sind - auch hier also wieder ein wahnsinniges Wachstumspotential für die Saatgutkonzerne, sollte sich die Terminator-Technologie durchsetzen. In letzter Konsequenz führt die Ausbreitung dieser Technologie zur Kontrolle über das Saatgut und damit über die Welternährung.
Das Moratorium für die Terminator-Technologie stand allerdings auf der COP 8 zur Disposition. Glücklicher Weise wurde es letztlich verlängert. Sowohl Feld- und Laborversuche als auch die Vermarktung von sogenanntem Terminator-Saatgut bleiben mit der Entscheidung weiterhin verboten. Dies ermöglicht im Hinblick auf die Ernährungssituation vor allem in Entwicklungsländern einen Aufschub, einen zumindest temporären Sieg gegenüber den Interessen der Agroindustrie. So beurteilten dies auch die die Konferenz begleitenden brasilianischen NGOs.
Ursprünglich hatte den Vertragsstaaten ein Vorschlag der verantwortlichen Arbeitsgruppe vorgelegen, dem zufolge einzelne Länder von Fall zu Fall Erfahrungen mit Selbstmord-Saat hätten genehmigen dürfen. Gegen das Moratorium waren vor allem Kanada, Australien und die nicht mit Stimmrecht ausgestatteten, da nicht zu den Unterzeichnerstaaten der CDB gehörenden USA.
Die brasilianische Delegation verhielt sich in Bezug auf das Thema auf der Konferenz eher diskret - dies wurde von verschiedenen NGOs kritisiert. Noch kurz zuvor hatte der brasilianische Nationalkongress eine Gesetzesvorlage abgelehnt, die die Aussaat von Terminator-Pflanzen zugelassen hätte. Die offizielle Stellungnahme auf der Website des Außenministeriums zur Terminator-Debatte auf der COP 8 aber lautete lapidar, die Position Brasiliens basiere auf dem Biosicherheitsgesetz, demzufolge Nutzung, Vermarktung, Registrierung, Patentierung und Lizenzierung von Terminator-Saatgut verboten ist. Die Regierung halte Forschung und Studien auf diesem Gebiet für notwendig.
Nach Einschätzung von Maria Rita Reis, der Rechtsberaterin der NGO Terra de Direitos, hat der Druck der sozialen Bewegungen maßgeblich zur Aufrechterhaltung des Moratoriums beigetragen. Ihr zufolge waren Divergenzen zwischen den verschiedenen Ministerien für die ambivalente Haltung Brasiliens verantwortlich. Grund dürfte auch gewesen sein, dass sowohl auf der COP 8 als auch auf der MOP 3 die stimmberechtigten Regierungsvertreter einen großen Anteil von Repräsentanten der Privatwirtschaft, z.T. auch von Monsanto, in ihre Delegationen eingeladen hatten, so dass deren Interessen direkt bei den Verhandlungen vertreten waren.