Erfolg für Piquiá de Baixo

Wie 1.110 Bewohner eines kleinen Dorfes gegen Stahlwerkstaub kämpfen und ihren größten Erfolg verbuchen konnten.
| von Christian Russau
Erfolg für Piquiá de Baixo
Hier wird das neue Piquiá de Baixo errichtet werden. Photo: Christian Russau

Es war ein langer Kampf. Viele Jahre. Heute haben Vertreterinnen der Bewohnerinnen und Bewohner des kleinen Ortes Piquá de Baixo, gelegen im nordostbrasilianischen Bundesstaat Maranhão, in Brasília in Anwesenheit der brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff den Vertrag zwischen der staatlichen Caixa-Econômica-Bank, den Behörden und den Bewohnerinnen und Bewohnern unterzeichnet, der den etwa 1.100 Menschen des Stadtteils Piquá de Baixo ihre Umsiedlung im Rahmen des sozialen Wohnungsbauprogramms Minha Casa, Minha Vida ermöglicht. Damit können demnächst die Bauarbeiten für das neue Piquiá de Baixo beginnen – und die Menschen endlich dem tödlichen Stahlwerksstaub, in dessen unmittelbarer Nachbarschaft Piquiá de Baixo sich befindet, entkommen. Sie hatten lange diskutiert. gefordert, dass endlich Filter eingebaut würden. Zu teuer, sagten Behörden und Firmen. Gefordert, dasss die Firmen geschlossen würden und woanders betrieben werden sollten. Schliesslich haben die Bewohnerinnen und Bewohner hier schon vor Niederlassung der Eisenhütten hier gewohnt. Geht nicht, sagten Behörden und Firmen. Kostet Arbeitsplätze und außerdem wäre das eine Enteignung und sowieso viel zu teuer. Dann haben sie diskutiert und darüber abgestimmt, wa sie wollen - und das Votum war klar: Wir müssen hier weg. Soll die Regierung zusammen mit den Firmen unseren Umzug bezahlen, damit wir an anderer Stelle gemeinsam wohnen und leben können, ohne dass unsere Gesundheit in Mitleidenschaft gezogen wird, ohne diesen ganzen Staub tagein, tagaus. Denn die Stahlwerke stehen keinen Steinwurf der nächstgelegenen Häuser entfernt. Der Staub ist allgegenwärtig, dringt in alle Ritzen, trotz mehrmaligen Putzen und Wischen ist alles rußig. In Piquiá de Baixo gibt es viele Krankheitsfälle. Und Todesfälle. Zu nah an den Bewohnerinnen und Bewohnern liegen die Eisenverhüttungswerke.

Worum ging es also? Padre Dario ist Comboni-Missionar in Piquiá und arbeitet seit Jahren mit den Bewohnerinnen und Bewohnern von Piquiá de Baixo zusammen. Im Interview erklärt er, worum es bei dem Konflikt geht.

Diese Eisenbahnstrecke ist der Ausgangspunkt von allem. Alles hier, dieses ganze System, nahm seinen Anfang mit der Bahnlinie. Denn sie verbindet Parauapebas im Bundesstaat Pará mit der 892 km entfernten Hauptstadt des Bundesstaat Maranhão, São Luís, wo der Hafen liegt. Die Bahnlinie wurde also 1985 in Betrieb genommen, um das Eisenerz der weltgrößten Mine per Güterzüge zum Hafen zu bringen. Es ist die weltgrößte Mine gemessen am reinen Eisenerz, denn der Erzgehalt ist in diesem Gestein hier sehr hoch. Um die Umweltgenehmigung für den Bau der Bahnlinie zu bekommen, versprachen die Firmen damals den Landesregierungen von Pará und Maranhão einen Prozess, der Entwicklung bringen sollte. Statt also nur das Eisenerz zu exportieren, sollten Arbeitsplätze, Einkommen, Mehrwert vor Ort geschaffen werden. Und zwar für die Menschen hier vor Ort. Und das sollte durch die Eisenhütten geschehen. So haben sich dann kurz nach der Fertigstellung der Bahnlinie 1985 hier Firmen der Eisenverhüttung angesiedelt. Und zwar in den Städten Marabá und Açailândia und in Bacabeira näher bei São Luís. Die Eisenverhüttung in Marabá ist mittlerweile eingestellt worden.

Hier in Açailândia gibt es diese vier Eisenverhüttungsbetriebe. Warum haben sie sich hier niedergelassen? Weil hier haben sie die Nähe zur Eisenbahninie, wo sie ihr Eisenerz herbekommen. Das wird dort abgeladen, dort seht Ihr die Berge und Haufen von abgeladenem Eisenerz. Die Züge fahren da rein und laden hier das Erz ab. Das Erz wird von vielen LKWs rüber zu den Verhüttungsbetrieben gebracht. Das sind sehr, sehr viele LKWs, jeden Tag. 1988 waren es fünf Eisenverhüttungsbetriebe hier, jetzt sind es vier. Die haben hier vierzehn Hochofen. Wie funktioniert dieser Prozess? Ganz vereinfacht gesagt: Über das Laufband wird eine Mischung aus Eisen, Kohle und ein wenig Kalk in den Ofen transportiert. Die Kohle dient zum Feueranheizen, aber ein Teil dient auch dazu, den Prozess der Reduktion durchzuführen, also den Vorgang, dass dem Eisen der Sauerstoff entzogen wird. Der Kohlenstoff der Kohle verbindet sich mit dem Sauerstoff, bildet Kohlendioxid, das ausgestoßen wird. Und auf der anderen Seite haben wir das gewünschte Produkt, das Roheisen. Das ist der erste Schritt bei der Gußeisenproduktion, da werden solche Barren hergestellt. Ihr sehr sogar von hier aus die Hitze dort, die dort herrscht, ihr seht das Glühen da an den Schornsteinen. Neben der Eisenverhüttung gibt es noch mehr. Ihr seht dort diesen grauen zylindrischen Turm. Das ist eine Zementfabrik. Teile der Produktionsabfälle werden zur Zementherstellung genutzt. Das ist auch sehr umweltverschmutzend, weil dort ein sehr feiner Staub anfällt. Und daneben seht Ihr zudem das berüchtigte Kraftwerk, das Strom und sehr sehr viel Lärm erzeugt. Das Ganze dort heißt Gusa Nordeste, so ist der Name der Firma. Die daneben heißt Viena. Und die dahinter heißt Siderúrgica Maranhão S/A (SIMASA) und die weitere Siderúrgica Vale do Pindaré. Die Gusa Nordeste, die wir hier sehen, hat kürzlich ein Stahlwerk hier hinzugebaut. Dies ist also die Vollendung der Vertikalisierung der Produktion hier vor Ort. Der Anfang der Produktion, die des Gusseisens, das im Englischen bezeichnenderweise Pig Iron heisst, weil es das schmutzigste ist, das wird hier also in Zukunft ergänzt in der Produktionskette durch eine theoretisch etwas saubere Produktion, und zwar die des Stahls. Soweit die schöne Theorie.

Doch die Praxs sieht dann jetzt anders aus. Denn nun wird ein Teil des glühendheissen, flüssigen Roheisens in LKW gefüllt und die fahren dann damit rüber zum Stahlwerk. Über unsere normale Straßen hier, da wo die Autos fahren und die Menschen entlang der Straßen langlaufen und dort wohnen. Ursprünglich hatte die Firma versprochen, für den Transport des Flüssigeisens zum Stahlwerk eine eigene Straße zu bauen, aber das wurde zu teuer und somit verworfen. Das Ganze ist höchstgefährlich. Das Eisen hat eine Temperatur von 1.400 Grad Celsius.

Und Piquiá de Baixo sind diese kleinen Häuser dort, direkt neben den Gebäuden des Eisenverhüttungsprozess. Der Staub fällt täglich auf die Anwohnerinnen und Anwohner nieder. Und dort hinten, neben dem Eisenhüttenwerk und den Häusern der Bewohner wird die Schlacke abgelassen. Die ist sehr heiß, und auch das bereitet sehr große Probleme. Es gab Fälle von Kindern, die da zum Spielen reingegangen sind. Sie haben sich schwerste Verbrennungen zugezogen, einer ist gestorben. Vom Eisenhüttenwerk und der Schlackehalde wird sehr, sehr viel Staub auf die Häuser der Anwohner hinübergetragen. Sehr viel Staub. Es ist also eine Umzingelung von Umweltverschmutzung. Also, warum sind hier die Eisenverhüttungswerke? Dort die Bahnlinie, die Straße, und es gibt Wasser, denn der Verhüttungsprozess braucht auch viel Wasser zum Kühlen. Sie entnehmen also das Wasser, nutzen es zum Prozess des Kühlens in ihrem Werk und hinterher wird das Brauchwasser wieder in den Fluss geleitet. Wir haben Studien durchgeführt und die haben gezeigt, dass das Wasser hinterher vier Grad wärmer ist als das, was zuvor entnommen wird. Und andere Studien weisen auf die chemische Belastung des Wassers durch Schwermetalle hin.“

Die komplette Umzingelung der kleinen gemeinde Piquiá de Baixo also. Wie haben die Bewohnerinnen und Bewohner reagiert? Sie haben sich organisiert, eine Anwohnervereinigung gegründet, sich Rat geholt bei den Comboni-Priestern im Ort und zusammen mit der Organisation Justiça nos Trilhos (übersetzt in etwa: "Gerechtigkeit auf den Schienen") eine jahrelange Kampagne in die Wege geleitet.

Nachdem Ende vergangenen Jahres auch die Regierung grünes Licht für die Aufnahme in das Mina Casa, Minha Vida-Programm gestimmt hatte, hatte es noch eine mehrmonatige Hängepartie mit viel Ungewissheit gegeben. Die staatliche Bank Caixa Econômica hatte in der Verantwortung für die Verzögerung die Firmen und Behörden gesehen, die wiesen jeweils auch auf die anderen, nun aber wurde der Vertrag rechtskräftig unterzeichnet. Es wird ein neues Piquiá de Baixo geben. Eine gute Nachricht.