Brasilianischer Bundesstaat Santa Catarina: Auch kleine Wasserkraftwerke brauchen vorab eine umfassende Umweltverträglichkeitsprüfung

Der Oberste Gerichtshof von Santa Catarina (TJSC) hat die vom Bundesstaat Santa Catarina erlassene Ausnahmeregelung für sogenannte „kleine“ Wasserkraftwerke im Bundesstaat für verfassungswidrig erklärt.
| von Christian.russau@fdcl.org
Brasilianischer Bundesstaat Santa Catarina: Auch kleine Wasserkraftwerke brauchen vorab eine umfassende Umweltverträglichkeitsprüfung
Symbolbild frei fliessender Fluss. Foto: Verena Glass

Es ist ein Erfolg für Umweltgruppen, Flussanwohnende, Anrainer wie Indigene und andere traditionelle Bevölkerungsgruppen: Der Oberste Gerichtshof von Santa Catarina (TJSC) hat die vom Bundesstaat Santa Catarina erlassene Ausnahmeregelung für sogenannte „kleine“ Wasserkraftwerke im Bundesstaat für verfassungswidrig erklärt. Vor der Erteilung einer Genehmigung für ein kleines Wasserkraftwerk müsse zuerst eine umfassende Umweltverträglichkeitsprüfung für das gesamte Wassereinzugsgebiet durchgeführt werden, die bisherige im Bundessstaat Santa Catarina geltende Bestimmung, die die Betreiber von sogenannten „kleinen“ Wasserkraftwerken davon befreite, wurde von zuständigen Gericht für verfassungswidrig erklärt. Der Oberste Gerichtshof von Santa Catarina (TJSC) hat damit der direkten Verfassungsklage der Landesstaatsanwaltschaft von Santa Catarina (MPSC) gegen die Vorschrift stattgegeben, die den Verzicht auf die umfassende Umweltverträglichkeitsprüfung im gesamten Wassereinzugsgebiets für kleine Wasserkraftwerke zum Zwecke der Erteilung einer Umweltgenehmigung gestattete. Dies entschied der TJSC am 16.11., der einstimmig die Verfassungswidrigkeit von Artikel 2 des Staatsgesetzes 14.652/2009, geändert durch die Staatsgesetze 16.344/2014 und 17.451/2018, erklärte.

Die Klagenden gegen Artikel 2 des Staatsgesetzes 14.652/2009 stellten die Vorschrift in Frage, die den Verzicht auf die umfassende Bewertung des Wassereinzugsgebiets für kleine Wasserkraftwerke erlaubte, außer in Fällen, in denen die Rodung einheimischer Vegetation von mehr als 100 Hektar pro Projekt oder eine überflutete Gesamtfläche von mehr als 200 Hektar pro Projekt erforderlich sei. Die Bundesstaatsanwaltschaft argumentierte jedoch, dass die einzelstaatliche Regelung im Widerspruch zu den auf Bundesebene allgemeinen Regeln stehe, die ausnahmslos eine umfassende Analyse des Wassereinzugsgebiets vorsähen. Die Staatsanwaltschaft wies darauf hin, dass der Bundesstaat Santa Catarina die Grenzen seiner Zuständigkeit überschritten und in die ausschließliche Zuständigkeit der Union für den Erlass von allgemeinen Umweltschutzvorschriften im Rahmen der nationalen Wasserpolitik eingegriffen habe. Folge dieser verfassungswidrigen Politik sei, so die Staatsanwaltschaft, dass „diese Norm die Erteilung einer Vorabgenehmigung für mehrere Kleinwasserkraftwerke im selben Wassereinzugsgebiet erlaubt, sofern jedes Unternehmen (einzeln betrachtet) eine bestimmte Menge an abgeholzter oder überschwemmter Fläche nicht überschreitet, und dies ohne eine umfassende oder umfassende Bewertung, so dass die Anforderungen der Bundesvorschriften abgeschwächt wurden. [Die landesgesetzgebung könne aber „die bundesstaatlichen Gesetze nur ergänzen, nicht jedoch abschwächen“.

Kleinwasserkraftprojekte werden meist als umweltfreundliche Alternativen zu größeren Staudämmen gefördert und als „harmlos“ wegen ihrer geringen Größe propagiert. Vor allem in Brasilien führt dies oft dazu, dass in einem Wassereinzugsgebiet eine Vielzahl an Kleinwasserkratwerken gebaut werden, ohne dass hinreichend darauf geachtet wird, welche kumulativen Effekte diese Kaskaden an Kleinwasserkraftwerken auf Flora, Fauna und Mensch bewirken. Es gibt keine international gültige Definition eines „Kleinwasserkraftwerks“. Was als Kleinwasserkraftwerk zählt, variiert von Fall zu Fall. Laut der International Commission on Large Dams sind alle Staumauern ab 15 Metern Höhe vom Fundament bis zur Krone oder von 5 bis 15 Metern mit einem Reservoir von mehr als drei Millionen Kubikmetern Großstaudämme. In vielen Ländern wird dagegen eine Megawattzahl zur Klassifizierung herangezogen: In der Regel werden demnach Kraftwerke bis zehn MW Nominalkapazität als Kleinwasserkraftwerke angesehen, von zehn bis 30 MW gelten sie als mittelgroße Kraftwerke. Länder mit besonders hohem Wasserkraftpotenzial wie Brasilien und China betrachten dagegen alle Kraftwerke bis 30 MW als „klein“, wie dem Handbuch Kleinwasserkraftwerke des Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK / Bundesamt für Energie BFE: Handbuch Kleinwasserkraftwerke. Informationen für Planung, Bau und Betrieb, Ausgabe 2011 entnommen werden kann. In Indien gelten Kleinwasserkraftwerke als „klein“, solange sie unter 25MW Größe haben.

//  Christian Russau