Internationale Kooperation mit Brasilien in Zeiten Lula 3.0

Höhepunkt eines längeren Prozesses zwischen brasilianischen Partnerorganisationen aus dem ökumenischen Partner-Netzwerk pad (proceso de articulacao e dialogo), dem Netzwerk der deutschsprachigen Brasiliensolidarität KoBra sowie FDCL, ASW und Brot für die Welt war eine Podiumsdiskussion zur Lancierung des Papiers „Zur Zukunft der deutsch-brasilianischen Kooperation“ im Rahmen der BMZ Lateinamerika/Karibik Woche in Berlin. Das Papier war als Synthese von zahlreichen Interviews mit brasilianischen Partnern und zivilgesellschaftlichen Akteuren der Kooperation entstanden und wurde bei KoBra/FDCL veröffentlicht.
| von Uta Grunert
Internationale Kooperation mit Brasilien in Zeiten Lula 3.0
Podiumsdiskussion "Zukunft der deutsch-brasilianischen Kooperation", Foto: Christian Russau

Das vorgestellte EZ-Papier "Zur Zukunft der deutsch-brasilianischen Kooperation" war von brasilianischer Seite in den Transitionsprozess der Neuen Regierung eingeflossen und dort positiv aufgenommen worden.

Auf dem Podium sprach zunächst Leticia Tura von der brasilianischen NGO Fase per Videobotschaft. Thomas Fatheuer, einer der Autoren der Studie ordnete anschließend die Eckpunkte des Papiers in die aktuelle politische Situation zwischen Deutschland und Brasilien ein. Luiz Ramalho, der zweite Autor der Studie moderierte die Veranstaltung und die Brasilienreferentin des BMZ Hannah Schmelzer erläuterte den Weg zu den Regierungsverhandlungen im Herbst des Jahres und die im Mai geplanten Regierungskonsultationen, bei denen sich die staatliche Zusammenarbeit neu aufstellen und teilweise fortgeführt wird.

Leticia Tura betonte den historischen Moment der Wiederwahl Lulas als Voraussetzung zur Stabilisierung der fragilen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Brasilien, aber auch den weiten Weg, den die Brasilianer*innen und die internationale Gemeinschaft nach der Ära Bolsonaro zurücklegen müssten, um die Probleme der brasilianischen Gesellschaft zu lösen.

Brasilianische zivilgesellschaftliche Akteure halten die Garantie von territorialen Rechten für die indigene Bevölkerung, aber auch für Quilombolas und andere traditionell wirtschaftende Gruppen für elementar, um der fortschreitenden Regenwaldabholzung, Landraub und Ressourcenraubbau durch globale Wirtschaftsstrukturen entgegenwirken zu können. Sie fordern in diesem Zusammenhang mehr Transparenz über Projektvorhaben, beteiligte Partner sowie direkte Finanzierungsfaszilitäten durch die staatliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Brasilien für zivilgesellschaftliche Akteure wie z.B. Indigene oder Frauenkooperativen wie die Babassunusssammlerinnen. Brasilien ist strategischer Partner der deutschen Bundesregierung und nach dem Regierungswechsel wieder ein wichtiger Akteur im Kontext von Klimapolitik, Walderhaltung, Erneuerbaren Energien und Energieeffizienz sowie der Absicherung von nachhaltigen Nutzungsformen und Energiepartnerschaften.

Deutsche Entwicklungspolitik schaut zudem auf erfolgreiche Projektvorhaben wie das Tropenwaldschutzprogramm PPG7 und Unterprogramme wie das PDA (Programa de desenvolvimento ambiental) zurück, letzteres gilt als Ausgangspunkt für die Agrarökologiebewegung Brasiliens, deren Stärkung und Ausbau heute als ein positiver und zukunftsweisender Weg in die Zukunft betrachtet wird.

Thomas Fatheuer wies zunächst auf die Ausgangslage hin, die sich seit dem Regierungswechsel darstellt. Die Lularegierung 3.0 habe neue Elemente gegenüber den vorherigen Regierungsphasen. Die Einrichtung eine indigenen Ministeriums unter der Führung der Indigenen Sônia Guajajara und das Ministerium für ethnische Gleichstellung sind Schritte in die richtige Richtung für mehr soziale Gerechtigkeit und die Anerkennung von Rechten innerhalb der megadiversen Gesellschaft Brasiliens. Lulas dritte Regierungszeit wird mit Euphorie begleitet, was aber nicht darüber hinwegtäuscht, dass seine vorherigen Regierungsjahre in vielen Punkten Hypotheken hinterlassen haben (z.B. wegen des Megaprojekts Belo Monte). Lula hat allerdings schon damals gezeigt, dass es ihm mit der Entwaldungsbekämpfung ernst ist. Er erbt allerdings von seinem Vorgänger die Zunahme des organisierten Verbrechens, gerade im Amazonasraum, die sich neben Drogenhandel auf illegalen Goldabbau ausgeweitet haben.  

Thomas Fatheuer hob sieben Punkte hervor, die nun dringend angegangen werden müssten:

  1. Schnelles Handeln sei wichtig, das die Entwaldungszahlen aktuell weiter ansteigen. Bolsonaro habe die Umweltgovernance komplett zerschlagen, dieser Zustand würde von den Treibern der Entwaldung derzeit noch reiflich ausgenutzt. Zeit spielt also eine Rolle!
  2. Die internationale Kooperation darf mehr Partizipation wagen! Auf deutscher Seite ist ein Ländergespräch vor Regierungskonsultationen Usus, ein ähnliches Instrument für die brasilianische Zivilgesellschaft wäre in Brasilien wichtig. Wichtig sei, dass hier auch kritische Stimmen wahrgenommen werden. Denn natürlich ist Zivilgesellschaft komplex.
  3. Die Wiederbelebung des Amazonasfonds wird begrüßt, aber es werden auch Reformen eingefordert. Dies betrifft vor allem Finanzierungsformen für kleinere Akteure, die mit ihren Lebens- und Wirtschaftweisen zum Walderhalt und -schutz beitragen. Auch die direkte Förderung von indigenen Gruppen sollte wieder auf die internationale Tagesordnung, so wie es im Protokoll der Glasgower Klimakonferenz verabschiedet wurde.
  4. Die Stärkung der Agenda der Territorien muss prioritär behandelt werden. Dies bedeutet eine Konsolidierung indigener Gebiete aber auch die rechtliche Absicherung für Gebiete traditionell wirtschaftender Gemeinschaften. Brasilien braucht neue Demarkierungen, eine Stärkung der FUNAI als Kontroll- und Umsetzungsorgan mit Hoheitsrechten. Hier ist die Wiederaufnahme der Zusammenarbeit mit dem Umweltministerium entscheidend. Denn dieses ist für die traditionellen Gemeinschaften zuständig, welche auf 20% der Fläche wirtschaften. Für sie ist die Behörde ICMBio hoheitlich zuständig. Während der Bolsonaro-Ära war das Umweltministerium ins Landwirtschaftsministerium eingegliedert und damit politisch seiner Handlungsfähigkeit beraubt worden. Nun sei es an der internationalen Kooperation, neue Partnerschaften mit dem Ministerium von Umweltministerin Marina Silva aufzubauen und diese für die Agenda der Territorien zu nutzen.
  1. Der Fokus muss sich auf weitere Biome Brasiliens richten: Cerrado und Caatinga brauchen Schutz gegen Entwaldung und Landnutzungsumwandlungen, sind aber nicht in der gleichen Aufmerksamkeit wie das Amazonasgebiet, das als Lunge der Erde weltweit bekannt ist.
  2. Spezifische Programme für Quilombolas müssen ergänzt Hier existiert ein großes Defizit bei der Demarkierung von Land. Die überlebenden Nachfahren der Sklavenwirtschaft Brasiliens haben vergleichbare territoriale Rechte in der brasilianischen Verfassung festgeschrieben wie Indigene. Sie wurden aber z.B. beim PPG7 Programm nicht mit eigenen Projekten berücksichtigt und haben nicht die gleiche mediale Aufmerksamkeit wie indigene Gruppen.
  3. Ernährungssouveränität, Biodiversitätsschutz und Klimagerechtigkeit neu zu denken, bedeutet eine Stärkung der Agrarökologie.  Bewegungen wie die Landlosenbewegung MST zeigen, dass Wiederbewaldung nicht allein Aufforstung bedeuten muss, sondern dass auch Agroforstsysteme hier die Lösung sein können.

Hannah Schmelzer betonte das große Interesse der deutschen Regierung an einem Neustart der Kooperation mit Brasilien, was auch die hohe Besuchsdichte deutscher Delegationen vor Ort belege. Viele Gespräche mit Zivilgesellschaft vor Ort liefen bereits über die deutsche Botschaft in Brasilia. Derzeit würden die Regierungskonsultationen vorbereitet, die im Mai in Brasilien stattfinden. Im Herbst folgen dann Regierungsverhandlungen mit Gesprächen der Staatschefs. Auf deutscher Seite besteht Offenheit für Gespräche und es gibt bereits einen Termin für ein Ländergespräch Brasilien vor den Konsultationen, weil der Wunsch aus der Zivilgesellschaft geäußert wurde. Viele der oben genannten Punkte würden bereits diskutiert, auch ressortübergreifend, denn EZ ist auf verschiedene Ressorts verteilt. Das Team Deutschland treffe sich einmal im Monat zum Austausch und um Ressortkohärenz bei der Projektplanung herzustellen. Die deutsche staatliche EZ habe sich in den letzten Jahren diversifiziert, ein Lernprozess, der gemacht wurde als die Ansprechpartner für Entwaldungsbekämpfung sich als nicht zuverlässig erwiesen haben. So arbeite man heute verstärkt mit dem Ministerio Publico Federal zusammen. Frau Schmelzer zeigte sich interessiert an positiven Erfahrungen der Zivilgesellschaft für mehr Austausch von früher und an der Fachtagung Runder Tisch Brasilien. Sie betonte aber auch die internationale Dimension der Aufgabe und dass gerade im Amazonasfonds Norwegen und UK wichtige Kooperationspartner seien.

Die Diskussion im Anschluss zeigte, dass ein interessiertes und inhaltlich beteiligtes Fachpublikum anwesend war. Sehr erfreulich, dass man wieder miteinander ins Gespräch kommt, denn es gibt viel zu tun.