255 | Bolsonarismo in Brasilien

Unternehmen und Menschenrechte Im Namen von Fortschritt und Wirtschaftsleistung werden bis heute die Kolonialisierung und der Raubbau in Brasilien immer weiter vorangetrieben. Heute sind es nicht mehr die Gesandten des portugiesischen Königs oder die Militärregierung, die auf der Basis hegemonialer Machtstrukturen Ausbeutung betreiben. Im 21. Jahrhundert unterwerfen internationale Investmentfonds in Kooperation mit lokalen Unternehmergrößen die traditionellen Völker und Gemeinschaften, zu denen Indigene ebenso gehören wie die Nachfahren geflohener Sklaven (Quilombol@s) oder die Nachfahren der Kautschukzapfer*innen um Chico Mendes. Sie alle verteidigen Tag für Tag die natürlichen Ressourcen und ihre Lebensgrundlage gegen den Raubbau der Großkonzerne.
| von fabian.kern@kooperation-brasilien.org
255 | Bolsonarismo in Brasilien
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Inhalt:

Brasiliens Höllensturz nach einem Gewitter namens Bolsonaro
Marilene Alves de Souza

Klimaschutz ist abgebrannt
Bettina Müller

Transnationale Konzerne und Menschenrechte
Interview mit Cannelle Lavite

Unternehmerische Gesellschaftsverantwortung im brasilianischen Kontext
Hélio da Costa

Umweltgerechtigkeit als Kontrapunkt zu Schäden durch Megaprojekte
Confederação Sindical dos Trabalhadores das Américas (CSA)

Dammbrüche und Sirenengeheul
Klemens Laschefski

Entwicklungszusammenarbeit in schwierigen Zeiten
Thomas Fatheuer

Großer Aufschrei, dann tatenlos Zurückrudern
Christian Russau

Nachhaltige Regenwald-Produkte der Region Xingu
Uta Grunert

(Un)Sichtbare politische Frauen: Dandara dos Palmares
Uta Grunert

Der tödliche Kreislauf der Waffengewalt
Annette Mokler

Zeit für ein Lieferkettengesetz
Eva-Maria Reinwald

 

Editorial:

Im Namen von Fortschritt und Wirtschaftsleistung werden bis heute die Kolonialisierung und der Raubbau in Brasilien immer weiter vorangetrieben. Heute sind es nicht mehr die Gesandten des portugiesischen Königs oder die Militärregierung, die auf der Basis hegemonialer Machtstrukturen Ausbeutung betreiben. Im 21. Jahrhundert unterwerfen internationale Investmentfonds in Kooperation mit lokalen Unternehmergrößen die traditionellen Völker und Gemeinschaften, zu denen Indigene ebenso gehören wie die Nachfahren geflohener Sklaven (Quilombol@s) oder die Nachfahren der Kautschukzapfer*innen um Chico Mendes. Sie alle verteidigen Tag für Tag die natürlichen Ressourcen und ihre Lebensgrundlage gegen den Raubbau der Großkonzerne.

Das Kapital, das Unternehmen wie den Fleischkonzern JBS oder den Bergbauriesen Vale finanziert und auch den großen Teil der Gewinne einstreicht, hat keine Staatsangehörigkeit. Die Aktien dieser Unternehmen werden neben Brasilien ebenso in Europa und den USA gehandelt. In ihrem überwiegend profitorientierten System tauchen Umweltschutz, Menschenrechte und demokratische Mitbestimmung höchstens als Fußnote oder in Geschäftsberichten als Investitionsrisiko auf.

Viele politische Entscheidungsträger*innen in Brasilien werden von Konzernen bestochen, bedroht oder gehören bereits zur Familie. Wahlkampfspenden sind an der Tagesordnung und machen den Weg frei für eine unternehmensfreundliche Politik, wie sie Bolaonaro und seine Regierung gerade über Menschenrechte, Umwelt- und Minderheitenschutz stellen. Die Korruptionsskandale stürzten zwar Präsident*innen und andere machtvolle Politiker*innen, aber die großen Konzerne kaufen sich  einfach frei. Zwar sind die Milliardenstrafen rekordverdächtig, aber wenn wir die Summen mit den Gewinnen der letzten Jahrzehnte vergleichen, erweisen sich die Schmiergeldzahlungen unterm Strich als ein gutes Geschäft. Genauso wenig führten die fatalen Dammbrüche in Mariana und Brumadinho zu einem wirtschaftlichen Schaden für das verantwortliche Unternehmen, zumal die Strafverfolgung und Haftbarmachung transnationaler Unternehmen juristisch ihre Tücken haben. Der Profit geht über Leichen! Jedes Jahr sterben hunderte Menschen in Landkonflikten in Brasilien, Tendenz steigend. Brennende Wälder in der Amazonasregion, im Cerrado und in anderen Waldgebieten des Landes sind die Folge einer Regierungsrhetorik, die als Freibrief zur Aneignung von Land verstanden wird. Die Ausbeutung scheint legitim, die Konfliktlage verschärft sich.
Der Gipfel der Unverfrorenheit ist jedoch, wenn die Verantwortlichen sich als die Welternährer darstellen. Dabei ist es doch gerade die Fleischindustrie, die manchmal auf dem Umweg der Futtermittelproduktion, die Lebensgrundlage von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern zerstört, die die Menschheit eigentlich ernährt.

Wir sind Teil dieses Systems, auch wenn wir tausende Kilometer von Brasilien entfernt leben. Wir freuen uns über günstiges Fleisch, das entweder direkt aus Brasilien importiert oder durch billiges, gentechnisch verändertes Soja aus Brasilien gemästet wurde. Wir bauen Häuser, Straßen und Autos mit Metallverbindungen, die z.B. der Bergbauriese Vale in Brasilien fördert. Die Renten- und Pensionsfonds sind von diesem Wirtschaftssystem abhängig, damit wir am Ende unserer Arbeitslebens etwas von der Altersvorsorge genießen können. Bislang ist es nicht gelungen, unsere Wirtschaft zu verbindlichen Regeln im Bezug auf Umweltschutz und Menschenrechten entlang der Lieferketten zu verpflichten. Das muss sich dringend ändern! Die Beiträge in diesem Heft belegen dies.