260 | Keimzellen des Widerstands

Die brasilianische Bevölkerung leidet unter den Maßnahmen der Bolsonaro-Regierung und der Ausbreitung von Covid-19. Die Situation spitzt sich zu, anstatt sich zu verbessern und Armut, Hunger und Arbeitslosigkeit wachsen. Dennoch gibt es Widerstand auf verschiedensten Ebenen, besonders von Gruppen, die (mehrfach) marginalisiert sind. Wo Widerstand anstetzt, wie er aussieht und welche Herausforderungen bestehen - darum soll es in diesem Heft gehen.
| von tilia.goetze@kooperation-brasilien.org
260 | Keimzellen des Widerstands

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Inhalt:

E agora, José? ‑ Die Auswirkungen des Demokratieabbaus auf traditionelle Völker und Gemeinschaften
Mônica Nogueira

Zwangsräumungen während der COVID‑19 Krise in Brasilien
Diogo Diniz Ribeiro Cabral

Widerstand gegen den Konservatismus in Brasilien
Renata Motta, Marco Antonio Teixeira und Eryka Galindo

Der ‘Marielle‑Effekt’ und schwarze Frauen in brasilianischen politischen Räumen
Lívia de Souza

Wir, Mütter des Wassers
Carolin Weische

Gruppen, die anders denken ‑ Jugendnetzwerke gegen Gewalt in Brasilien
Christina Schug

Kommunalwahlen in Brasilien: Wer gewinnt? Wer verliert? Und die Städte?
Carina Serra Amario und Tales Fontana Siqueira Cunha

Erinnerung, Macht und Hoffnungsschimmer
Igor Birindiba Batista

#AnulaSTF: Deutsche Initiative fordert Gerechtigkeit für Lula
Elisabeth Schober

Editorial

Brasilien befindet sich im multiplen Krisenmodus. „Das brasilianische Justizwesen ist eine Komfortzone – aber für wen?“, schreibt unser Autor. 31 Prozent der Inhaftierten haben noch keinen Prozess durchlaufen und die Gesamtausgaben der Justiz sind, proportional an der Einwohner*innenzahl gemessen, niedrig. Das Gesundheitssystem ist mit der „zweiten Welle“ an Corona-Infektionen weiterhin überlastet und mancherorts sterben Patient*innen in Krankenhäusern durch Mangel an Behandlungskapazität. Insgesamt verdeutlicht und verschärft die Coronakrise die Schere zwischen Arm und Reich. Die Besetzung von zahlreichen Regierungsposten mit Militärs ist eines der vielen Hindernisse, die Bolsonaro möglichen Lösungsansätzen aktiv in den Weg stellt. Fakt ist, dass die Frage nach dem Zustand der demokratischen Institutionen zunehmend ihren Weg in den Diskurs über das aktuelle Geschehen in Brasilien findet.

Wo bleibt also der Widerstand? Eine vereinte politische Linke als Gegenpol gibt es nicht – jedoch bestehen breite Bündnisse verschiedener Organisationen und Widerstandsbewegungen. Sie stellen Forderungen an die Politik, mobilisieren ihre Mitmenschen und wehren sich auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene gegen die Verletzungen ihrer Rechte. Die Kommunalwahlen im November 2020 zeigen eine Abwendung vom Bolsonarismus – und gleichzeitig auch von der Arbeiterpartei PT. Dennoch haben es zunehmend Vertreter*innen marginalisierter Gruppen in Ämter der Kommunalpolitik geschafft. Die Entwicklung lässt sich unter anderem auf den sogenannten ‚Marielle-Effekt‘ zurückführen, durch welchen zum Beispiel schwarze Frauen und Transfrauen zunehmend für die Anerkennung ihrer Rechte kämpfen. Auch traditionelle Völker und Gemeinschaften sind mittlerweile häufiger in politischen Ämtern vertreten.

Wurzeln, Keimzellen sowie gereifte Bündnisse des Widerstands sind momentan nicht in Massen auf der Straße zu finden, doch das bedeutet keineswegs, dass es den Widerstand nicht gibt. Im Hintergrund der Großdemonstrationen des „Marcha das Margaridas“ zum Beispiel, engagieren sich die Organisatorinnen anhand von Kampagnen und Öffentlichkeitsarbeit. Dazu gehört ein Organisationsprozess sowie Bündnispolitik. In keinem Fall ist die Arbeit von Aktivist*innen einfach, denn sie haben meist nicht viele Mittel zur Verfügung und setzen sich mit jeder öffentlichen Positionierung Gefahren aus. Besonders betroffen von Drohungen und Angriffen durch Rechte und Bolsonaro-Anhänger*innen sind mehrfach marginalisierte Menschen, wie schwarze Frauen oder Transfrauen. Auch schwarze Jugendliche, die in Favelas leben wehren sich durch verschiedene Projekte gegen ihre Marginalisierung und machen auf Gefahren aufmerksam, die für sie von der Polizei ausgehen.

Durch die Coronakrise wächst der Online-Aktivismus und auch international verschaffen sich Kampagnen und Solidaritätsaktionen eine laute Stimme. Eine deutsche Initiative will zum Beispiel mit der Kampagne #AnulaSTF Druck auf den brasilianischen Obersten Gerichtshof ausüben, um Prozesse gegen den ehemaligen Präsidenten Lula aufzuheben.

Wahrzunehmen ist derzeit eine Vielzahl unterschiedlicher Widerstandsformen, die jedoch noch nicht organisch verbunden sind. Wir nennen sie deshalb die „Keimzellen des Widerstands“.

 

Die Redaktion