Evangelikaler Durchbruch bei Wahlen in Rio

Der neue Bürgermeister von Rio de Janeiro, Marcelo Crivella, im Kurzportrait.
| von Christian Russau
Evangelikaler Durchbruch bei Wahlen in Rio
Senado Federal/CCJ - Comissão de Constituição, Justiça e Cidadania/flickr (CC BY 2.0)

Bild: Senado Federal/CCJ - Comissão de Constituição, Justiça e Cidadania/flickr (CC BY 2.0)

Bei den Bürgermeisterwahlen der Stadt Rio de Janeiro hat Marcelo Crivella von der rechtskonservativen Republikanischen Brasilianischen Partei PRB mit 1,7 Millionen Wählerstimmen 59,36 Prozent der gültigen Stimmen erzielt und wurde somit Bürgermeister der 6,3-Millionen-Metropole zwischen der Guanabara-Bucht und dem Atlantik. Während rund eine Million Bürger für den zweitplatzierten Marcelo Freixo von der Linkspartei Partei stimmten, entschieden sich zwei Millionen Wähler für ungültige, leere oder generell gegen die Abgabe eines Stimmzettel – trotz Wahlpflicht im Land und trotz Strafen für deren Nichtbefolgung.

Der 59-jährige Marcelo Crivella ist von seiner Ausbildung her Ingenieur, schon früh begann er als Bauleiter der Kirchen seines Onkels Edir Macedo, Gründer der Igreja Universal und dadurch Multimillionär, tatkräftiges Anpacken so zu interpretieren, dass er persönlich handgreiflich wurde, um eine Baustellenbesetzung seiner Kirche durch Obdachlose zu verhindern. Dies brachte ihm eine Anzeige an, doch verurteilt wurde er nicht. Berühmt wurde er aber durch seine flammenden Predigten vor seinen Pfingstlergemeinden, die bei TV Record ins ganze Land übertragen werden. TV Record gehört seinem Onkel Macedo und zählt zur Handvoll der größten Fernsehsender des Landes. Crivella wettert dort seit Jahren gegen die Unmoral und Unchristen und sieht das von ihm gern genutzte Internet als Höllen-Netz. »Ihr saht schon die Meeres- und Erdbeben, die Korruption, Sünde, Sodom und Gomorra in planetarischen Ausmaßen dieses Infernet«, wortspielerte Crivella zwischen inferno (»Hölle«) und Internet. Aber der Heilige Geist werde »ein großes Werk vollbringen und es wird noch in unserer Generation zu einer letzten Schlacht kommen«, so prophezeit Crivella gerne.

Von Crivella sind zudem eine Reihe von diskriminierenden Äußerungen bekannt. So beschimpfte er in einem in den 1990er Jahren von ihm verfassten Buch Katholiken als »dämonisch«, und die Religionen Afrikas huldigten »bösen Geistern«. Homosexualität sieht er darin als »bösartiges Verhalten« und »furchtbares Übel«. Den Hindus attestierte Crivella die Praxis des Opferns von Kindern, um deren Blut trinken zu können. Während des Wahlkampfs distanzierte sich von diesen Aussagen, versicherte, er werde ein »guter Bürgermeister« sein und werde für den laizistischen Staat eintreten. So richtig abnehmen wollen ihm das aber nicht alle. Denn sein Weltbild zieht sich durch seine Predigten und die mittlerweile weit über ein Dutzend Schallplatten und CDs mit den von ihm vorgetragenen Gospels erzkonservativen Pfingstlertums.

Gewonnen hat der Senator und evangelikale Bischof Crivella von der pfingstlerischen Igreja Universal do Reino de Deus die bedeutende Mehrzahl der Wählerstimmen in der West- und Nordzone von Rio. Während Crivella in der wohlhabenden Südzone der Stadt nur im mondänen Viertel von Ipanema die Mehrheit der Stimmen errang, lag sein Gegenkandidat Freixo dort in allen Wahlkreisen leicht vor Crivella. Entschieden aber wurde die Wahl in der bevölkerungsreichen Westzone der Stadt, wo Crivella einen Erdrutschsieg erzielte. Teilweise deutliche Dreiviertelmehrheiten sprachen dort eine klare Sprache. Es ist die Zone, wo der Staat seit Jahren abwesend ist. Wo an jeder zweiten Ecke eine evangelikale Gemeinde steht, die den Gläubigen Seelenheil im Tausch gegen den Zehnten anbietet. Es ist aber auch die Gegend, in die die Polizei sich entweder nicht hintraut oder wo sie gleich mafiös verbandelt ist mit den örtlichen Milizen, die Schutzgelder erpressen. Etliche dieser Milizen haben öffentlich zur Wahl von Crivella aufgerufen. Und davon hat sich Crivella nicht öffentlich distanziert.