Anhaltende Stromausfälle in Brasilien und Streit um Preise und Kontrolle des Stromsektors

Am Samstag, 15. Dezember 2012, ist es in Brasilien erneut zu einem großflächigen Stromausfall in weiten Teilen des Landes gekommen. In den Regionen der Bundesstaaten von Rio de Janeiro, São Paulo und von Minas Gerais waren Schätzungen zufolge über zwei Millionen Konsumenten am frühen Samstag Abend (Ortszeit) ohne Strom. Dies geschieht nun gerade zu einem Zeitpunkt, zu dem der seit Jahren in Brasília schwelende Streit um die Netzentgelte und Stromkosten zu eskalieren droht.
| von Christian Russau

Rio de Janeiro. Am Samstag, 15. Dezember 2012, ist es in Brasilien erneut zu einem großflächigen Stromausfall in weiten Teilen des Landes gekommen. Laut Angaben der Netzbetreiber waren in den Regionen der Bundesstaaten von Rio de Janeiro, São Paulo und von Minas Gerais rund zwei Millionen Konsumenten am frühen Samstag Abend (Ortszeit) ohne Strom. Einige Tageszeitungen sprachen von weit mehr als 2,7 Millionen betroffenen Haushalten. Das Ministerium für Bergbau und Energie teilte am Montag mit, der Netzausfall habe seinen Ursprung im Wasserkraftwerk Itumbiara im Bundesstaat Goiás, das mit seinen 8,8 GW einen Großteil des in den Ballungsräumen Rio, São Paulo und Belo Horizonte verbrauchten Stroms liefert. Techniker wurden demnach am Montag vor Ort geschickt, um die genaue Ursache herauszufinden.

Der großflächige Netzausfall war nicht der erste. Im Jahr 2012 war es bislang bereits zu über 60 Netzausfällen gekommen. Dies geschieht nun gerade zu einem Zeitpunkt, zu dem der seit Jahren in Brasília schwelende Streit um die Netzentgelte und Stromkosten zu eskalieren droht. Ende September hatte Brasiliens Regierung verkündet, dass die Strompreise im Land ab Februar kommenden Jahres für die Konsumenten deutlich sinken würden. Die Regierung Rousseff bekräftigte, dass die Stromkosten der Privathaushalte um 16 Prozent und die der Industrie zwischen 20 und 28 Prozent gekürzt werden müssten. Dazu schlug die Regierung vor, die eigentlich erst zwischen 2015 und 2017 auslaufenden Konzessionsverträge mit Energieproduzenten und Netzbetreibern vorzeitig zu verlängern. Zusätzlich fordert die Regierung von den Stromproduzenten günstigere Konditionen um bis zu 70 Prozent bei der Höhe des von den Netzbetreibern einzufordernden Preises für die Durchleitung; auch bei den Stromproduzenten fordert die Regierung niedrigere Preise. Zudem soll die staatliche Abgabenlast auf die verbrauchten Kilowattstunden reduziert werden. Derzeit schlagen bei einer durchschnittlichen Stromrechnung für Privathaushalte der Vertrieb mit 22 Prozent, die Entgelte für Übertragungsleistungen mit rund fünf Prozent, die staatlichen Abgaben mit knapp dreizehn Prozent, das Entgelt für den Stromproduzenten mit rund 45 Prozent und sonstige Abgaben mit 15 Prozent zu Buche.

Der Aufschrei der Stromwirtschaft ließ nicht auf sich warten. Vertreter von Stromkonzernen und Netzbetreiber warfen der Regierung vor, bei diesen Preisen könne gleichbleibende Qualität nicht gewährleistet werden. Die Regierung in Brasília bot dem Stromsektor im Gegenzug zu den neuen Bedingungen der Konzessionen staatliche Ausgleichszahlungen in Milliardenhöhe an: für die Netzbetreiber 12,9 Milliarden Reais (knapp fünf Milliarden Euro), für die Stromproduzenten rund sieben Millarden Reais (umgerechnet 2,7 Milliarden Euro).

Der Vorsitzende der dem Energieministerium unterstellten Staatsfirma für Energieforschung (EPE), Maurício Tolmasquim, entgegnete den Kritikern aus der (privaten und staatlichen) Stromwirtschaft, sie wollten eben ihre Pfründe verteidigen: "Wenn Sie eine enorme Rendite erzielen, dann ist das normal, dass Sie diese immer erzielen wollen. Sich zu beschweren, das ist ganz normal", so Tolmasquim. Auch Heitor Scalambrini Costa, Professor der Bundesuniversität von Pernambuco und ausgewiesener Kenner des brasilianischen Stromsektors, wies süffisant darauf hin, dass die von der Regierung neu auferlegten Bedingungen für die Konzerne offensichtlich doch nicht ganz so schlimm seien, wie von diesen behauptet: "Selbst bei all den Beschwerden und dem Geschrei, so hat die Stromwirtschaft dennoch fast komplett den Bedingungen zugestimmt". Dennoch weigern sich einige Netzbetreiber und Stromproduzenten, unterstützt von Landesregierungen, die von der oppositionellen PSDB geführt werden, auf die neuen Vorgaben Brasílias einzugehen.

Der Streit um die Verlängerung oder Neuausschreibung der Konzessionenvergaben im Strombereich tobt seit gut vier Jahren in Brasilien. Die in Privathand befindlichen Netzbetreiber ebenso wie Industrievertreter, allen voran der mächtige Industrieverband São Paulos, verlangten Neuausschreibungen, da sie sich verbesserte Konditionen und weitere Privatisierung erwarteten, während die sozialen Bewegungen vor allem weitere Privatisierungen und Kostensteigerungen für die Bevölkerung verhindern wollten.

Die sozialen Bewegungen kritisierten trotz der angekündigten Reduzierungen der Strompreise für die Endkunden die Regierungsmaßnahmen dennoch deutlich. Leonardo Bauer Maggi vom Sekretariat der Bewegung der Staudammbetroffenen (Movimento dos Atingidos por Barragens - MAB) wies im Interview mit KoBra auf die Schieflage der Strompreisreduktionen hin. "Die Preisreduktion ist bei der Industrie viel, viel größer als bei den Leuten", so Maggi. "Bis zu 28 Prozent Preissenkung bei der Industrie, aber für die kleinen Leute nur bis zu 16 Prozent." Wer aber am Ende die Rechnung zahle, seien die brasilianischen Privathaushalte, die kleinen Leute, so Maggi.

Die Bewegung der Staudammbetroffenen MAB arbeitet seit Jahren an eigenen Energiekonzepten, die sie als Alternative gegen das bestehende Modell der Stromproduktion ins Felde führen: anstatt der umstrittenen zentralen Wasserkraftanlagen müsse die Produktion dezentraler erfolgen, in sehr kleinen Anlagen. Anstatt der Privatisierung tritt MAB für die staatliche Kontrolle der Energieproduktion und Verteilung ein: "Energie kann und darf keine Ware sein, sie muss im Dienste der Bevölkerung und der nationalen Souveränität stehen", so Leonardo Bauer Maggi. Deshalb müsse Energie in Staatshand bleiben, damit die demokratische Kontrolle durch die Bevölkerung gewährleistet sei.