Tribunal Popular: Der brasilianische Staat auf der Angeklagtenbank

2008 ist das Jahr, in dem die Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte begangen werden; insbesondere Brasilien gedenkt in diesem Jahr weiteren historischen Stichtagen in der Konstituierung seiner vermeintlichen Demokratie, darunter der 120 Jahre der formalen Abschaffung der Sklaverei, der 20. Jahrestag der Unterzeichnung der föderalen Verfassung und dem 18. Jahrestag des Jugendschutzgesetzes.
| von Birgit Hoinle

 

Ungeachtet der Bedeutung dieser Dokumente, präsentieren die offiziellen Gedenkfeiern ein Brasilien, welches in dieser Form nicht existiert: ein Land, welches sich für die Einhaltung der fundamentalen Rechte auf effektive Weise einsetzt. Die Geschichte zeigt uns eine andere Realität.

In den letzten Jahren hat sich der brasilianische Staat als zentraler Akteur in der Verletzung der Rechte seiner BürgerInnen erwiesen. Auf der einen Seite lässt der brasilianische Staat durch unzählige gewalttätige Aktionen morden bzw. lässt Menschen sterben, auf der anderen Seite erfüllt er nicht mal einen Mindeststandard an Basisdienstleistungen für seine Bevölkerung, wie Gesundheit, städtische Kanalisation oder Wohnung. Die wenigen Stimmen, die sich gegen diese Praktiken wehren, werden unterdrückt, kriminalisiert oder unsichtbar gemacht, gleich ob diese von sozialen Bewegungen, Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften oder einfach nur besorgten Individuen kommen.

Mit dem Ziel, diese Realität und die alltäglichen Gewaltakte zu denunzieren und den Staat aufgrund seiner mörderischen Praktiken anzuklagen, haben sich die betroffenen Gruppen, Bewegungen und Personen zusammengefunden und das Projekt “Tribunal Popular: Der brasilianische Staat auf der Angeklagtenbank” in die Wege geleitet. Eine Initiative aus der Basis, die die Problematik der fundamentalen Rechte und deren Verletzung in Brasilien diskutieren und einen Gegendiskurs zu dem offiziellen aufbauen will.

Die Idee besteht darin, den brasilianischen Staat anhand der nationalen und internationalen Gesetze, die er selbst formell anerkennt, zu verurteilen. Im Fokus stehen die systematischen Rechtsverletzungen in vier zentralen thematischen Feldern:
Gewalt gegen Bewegungen und Arme auf dem Land; Gewalt gegen arme Jugendliche;
Gewalt in Gefängnissen; Staatliche Gewalt gegen arme städtische Gemeinden unter dem Vorwand der öffentlichen Sicherheit.
Die Anklage in diesen vier Bereichen wird sich auf die Analyse der Situation in vier/fünf spezifischen Bundesstaaten stützen : Rio Grande do Sul und/oder Pará (bez. Verbrechen bei Landkonflikten), São Paulo, Bahia und Rio de Janeiro.

Die Anwesenheit internationaler BeobachterInnen spielt eine fundamentale Rolle in der Realisierung des Tribunal Popular – darunter Amnesty International, welche jedes Jahr Brasilien wegen seiner Menschenrechtsverletzungen verurteilt. Es ist eines der besonderen Ziele des Tribunals die internationale Solidarität unter all denen zu stärken, die sich über solche systematischen Menschenrechtsverletzungen empören und für deren Einhaltung engagieren.

In diesem Sinne laden wir euch ein, als internationale BeobachterInnen am “Tribunal Popular: Der brasilianische Staat auf der Angeklagtenbank” anwesend zu sein.
Das Tribunal wird zwischen dem 4. und 6. Dezember 2008 in São Paulo stattfinden.


Weitere Informationen: tribunalpopular@riseup.net