Menschenrechtsverletzungen gegen DemonstrantInnen in São Paulo

KoBra dokumentiert den Beschwerdebrief an den Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für die Rechte der friedlichen Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit.
| von KoBra
Menschenrechtsverletzungen gegen DemonstrantInnen in São Paulo
Grafik: Movimento Passe Livre

Die folgenden Organisationen legen diesen Beschwerdebrief gegen Menschenrechtsverletzungen bezüglich der gewaltvollen Vorkommnisse vor, die im Januar diesen Jahres bei Protesten im Bundesstaat São Paulo stattfanden.

Herr Clement Voule, Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für die Rechte der friedlichen Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit.



Kontakt

ARTICLE 19 BRAZIL
Südamerika-Regionalbüro
Camila Marques
camila@article19.org

Núcleo Especializado de Situação Carcerária da Defensoria Pública do Estado de São Paulo (Zentrum öfentlicher Verteidiger des Staates São Paulo spezialisiert in Haftbedingungen)
Leonardo Biagioni de Lima, Mateus Oliveira Moro, Thiago de Luna Cury
nucleo.carceraria@defensoria.sp.def.br

Instituto Terra, Trabalho und Cidadania (Institut Boden, Arbeit und Bürgerrecht)
Raissa Belintani
justicasemmuros@ittc.org.br

Conectas Direitos Humanos (Verbindung Menschenrechte)
Henrique Apolinario
henrique.souza@conectas.org

Instituto Brasileiro de Ciências Criminais (Brasilianisches Institut der Kriminalwissenschaften)
Paulo Cesar Malvezzi Filho
paulo.cesar@ibccrim.org.br

Conselho Estadual de Direitos da Pessoa Humana (Staatlicher Rat für Menschenrechte)
Dimitri
Sales
dimitrisales@dimitrisales.com.br

Movimento Passe Livre (Bewegung für den Nulltarif)



Zusammenfassung

Die Demonstrationen, die am 11. und 16. Januar stattfanden, wurden von willkürlichen Festnahmen und einem unverhältnismäßigen Einsatz der Polizei durch zahlreiche repressive Techniken begleitet, die die Proteste verhindern sollten, einschließlich des wahllosen Einsatzes nicht-tödlicher Waffen wie Gummigeschosse und Tränengasbomben.

Darüber hinaus wurden die Maßnahmen begleitet von intensiver Überwachung der Proteste seitens der Militärpolizei durch Verwendung von Kameras und Drohnen. Dieses Szenario wurde durch das Dekret Nr. 64.074/2019 verschärft, welches das Gesetz Nr. 15.556/2014 reglementiert, das von der Staatsregierung am 18. Januar erlassen wurde und das mehrere verfassungswidrige Maßnahmen verabschiedete, beispielsweise eine Vorankündigung [von Demonstrationen] von fünf Tagen, sowie der Beschluss, dass die Demonstrationsstrecke gemeinsam mit den öffentlichen Sicherheitsorganen definiert werden solle, als auch die Kriminalisierung von bestimmten Handlungen wie die Verwen­dung von Masken.

In Anbetracht der gegenwärtigen Situation fordern die Organisationen den Sonderberichterstatter und andere zuständige Stellen auf, eine öffentliche Erklärung zu dem Fall abzugeben, in der sie von der brasilianischen Regierung verlangen, die folgenden Maßnahmen zur Einhaltung internationaler Standards umzusetzen:

I. Das Verbot willkürlicher Festnahmen von Demonstrierenden;
II. Das Verbot der Überwachungspraxis bei Protesten;
III. Das Verbot willkürlicher Durchsuchungen durch die Polizei;
IV. Die Garantie, dass die Demonstrationsstrecke durch die Demonstrierenden selbst definiert wird, ohne staatliche Einmischung;
V. Die Überwindung eines unnötigen und unverhältnismäßigen Einsatzes der Polizei durch Organe der öffentlichen Sicherheit;
VI. Die Aufhebung des Dekrets Nr. 64.074/2019 und des Gesetzes Nr. 15.556/2014, das durch das Dekret reguliert wird;
VII. Die Identifizierung von Polizeibeamt/innen mit Namen, Patent und ID-Nummer im Helm und in der Uniform, die aus großer Entfernung sichtbar sein sollte, sowie das Verbot der Verwendung von Masken durch die Militärpolizei;
VIII. Die Ernennung eines Vermittlers, der nicht Teil der Polizei und der öffentlichen Sicherheit ist, um die Kommunikation zwischen Demonstrierenden und Behörden zu erleichtern;
IX. Das Aktionsverbot der "Tropa de Choque" bei Demonstrationen;
X. Die Schaffung transparenter Richtlinien für den Einsatz der Polizei bei Protesten, unter Beteiligung von Ombudsmännern, der Staatsanwaltschaft, Zivilgesellschaftsorganisationen und anderer interessierter Institutionen, entsprechend internationaler Demonstrationsnormen;
XI. Die Umsetzung von kompetenzbildenden Workshops für Polizeibeamt/innen, die während der Proteste im Bereich Sicherheit arbeiten, gemäß der gesetzlichen Rahmenbedingungen, mit dem Hauptziel, Behörden auf derartige Situationen vorzubereiten und den Demonstrationsvorgang zu erleichtern.



Einführung

Am 11., 16. und 22. Januar 2019 fanden drei Demonstrationen statt, die von der Nulltarif-Bewegung in der Stadt São Paulo organisiert wurden, um gegen die Erhöhung des Fahrpreises des öffentlichen Personennahverkehrs zu protestieren.

Die erste Protestaktion am 11. Januar war durch eine Reihe von Aggressionen gekennzeichnet, wie etwa willkürliche Durchsuchungen im Umfeld der Demonstrationen. Eine der Durchsuchungen, die die Polizei durchführte, bezog sich auf das Tragen von Banner und Masken, was verboten wurde.

In vielen Fällen, selbst wenn die Betroffenen von den Behörden freigelassen wurden, entschieden sie sich bewusst dagegen, die Demonstration fortzusetzen, aus Angst, weitere Verletzungen zu erleiden, was die Auswirkungen der Unterdrückung der Beteiligten demonstriert.

Darüber hinaus baute die Militärpolizei mehrere Überwachungsinstrumente auf, darunter eine Drohne und vier Kameras, von denen eine ausschließlich dazu diente, die Verhandlungen zwischen Mitgliedern der sozialen Bewegung und Polizeibeamt/innen zu filmen. Des Weiteren ist es erwähnenswert, dass die von der Polizei aufgenommenen Bilder von Demonstrierenden in der Regel dazu dienen, Personen zu identifizieren, von denen zukünftige Handlungen erwartet werden, sowie gerichtliche Maßnahmen zu ergreifen.

Dieses Szenario der Grenzüberschreitungen eskalierte, da der folgende Protest am 16. [Januar] von schweren Repressionen geprägt war1. Zusätzlich zu den oben genannten Angriffen setzte die Polizei Techniken ein, wie beispielsweise Überwachung, „Einkesselung“ (wobei die Polizei die Protestaktion von Anfang bis Ende einkreist) und Einsatz von Tränengasbomben und Gummigeschossen zur Zerstreuung der Menschenmenge.

Es gibt auch eine beträchtliche Anzahl von Videoberichten2, in denen gezeigt wird, wie die Polizei Demonstrierende mit Gummigeschossen angreift34. In diesem Sinne kann festgestellt werden, dass mindestens zwei Berichterstatter durch Gummigeschosse verletzt wurden56. Dies ist der Fall von Daniel Arroyo, einem Berichterstatter von „Ponte Jornalismo“, der durch ein Gummigeschoss im Knie verletzt wurde, sowie ein Berichterstatter von Futura Press, der durch ein Gummigeschoss im Bein verletzt wurde.

Während dieser drei Proteste gab es zwei Polizeisektoren, „Tropa de Choque“ („Bereitschafts­polizei“) und "CAEP - Cia de Ações Especiais", die äußerst aggressiv auf die Demonstrierenden reagierten. Diese Polizeibeamt/innen wurden durch einen Code identifiziert, der aus Zahlen und Buchstaben auf der Uniform7 bestand, was es erschwert, sich den Code zu merken und die weitere Identifizierung verkompliziert. Einige der Offizier/innen trugen zudem Masken.

Viele dieser Aktionen fanden zu Beginn der Demonstration am „Praça do Ciclista“ statt, die sich in der Avenida Paulista befindet, einem der wichtigsten Orte der Stadt, der eine gute Sichtbarkeit der Proteste gewährleistet. Die polizeilichen Maßnahmen sollten jedoch in den regulären Verlauf des Protestes eingreifen und diesen verhindern. Während die Demonstrierenden noch vor der Demonstration sitzend die Route besprachen, begann die Polizei, Tränengasbomben abzufeuern, was zu einem Richtungswechsel in eine andere Straße führte, wo die Aggressionen andauerten.
Zusätzlich zu den oben beschriebenen Verstößen wurden insgesamt 12 (zwölf) Personen festgenommen, von denen 9 (neun) noch am selben Tag freigelassen wurden, darunter 5 (fünf) Personen ohne Eintragungen im Strafregister und 4 (vier), die einen Polizeibericht über eine geringfügige Straftat unterschreiben mussten, ein Dokument, in dem die Person einen Kompromiss eingeht, an einem kleinen Strafgericht teilzunehmen. Drei weiteren Personen wurde Widerstand und Ungehorsam sowie der Besitz von Brandapparaten vorgeworfen. Am 17. Januar fand eine Sorge­rechts­verhandlung statt und alle drei wurden gegen Kaution freigelassen8, was nicht häufig vorkommt.

Es sei darauf hingewiesen, dass diese Verstöße nicht ausschließlich von staatlichen Sicherheitsagenten ausgeführt werden, da der Staat in mehreren öffentlichen Bereichen koordiniert handelt, um das Protestrecht einzuschränken.

Eine Tatsache, die auf diesen Punkt hinweist, betrifft die Verabschiedung des Dekrets Nr. 64.074/2019, von der Regierung des Staates São Paulo, am 19. Januar 2019. Das Dekret regelt ein Gesetz, das 2014 verabschiedet wurde (Gesetz Nr. 15.556), das eine Vorankündigung [der Demonstration] erforderlich macht und Einschränkungen bei der Verwendung von Masken festlegt. Dabei gibt es mindestens drei kontroverse Aspekte.

Der erste betrifft die Regelung der Vorankündigung, die mindestens fünf Tage im Voraus zu erfolgen hat und mehrere Informationen über die Demonstration enthalten muss, einschließlich der Route, die zurückgelegt werden soll. Diesbezüglich legt das Dekret fest, dass die Route gemeinsam mit den Behörden definiert werden muss.

In Bezug auf die Vorankündigung heißt es in der brasilianischen Verfassung, dass das Versammlungsrecht nicht von einer Genehmigung abhängt, sondern nur einer vorherigen Ankündigung an die zuständige Behörde bedarf. Der Zweck dieser Regel ist die Erleichterung des Protestrechts. Sie dient den Behörden als Instrument zur Verwaltung der Protestlogistik durch Umverlegung von Transitwegen via öffentlicher Verkehrsmittel, um die Ankunft und Abreise von Demonstrierenden zu gewährleisten und um Veranstaltungen, die für den selben Ort geplant sind, mit der Demonstration in Einklang zu bringen. Dies bedeutet, dass die Vorankündigung ein Instrument ist, um sicherzustellen, dass der Protest Anfang, Mitte und Ende hat.

Aus diesem Grund zeigen internationale Richtlinien, dass eine vorherige Bekanntmachung keine übermäßigen bürokratischen Verfahren mit sich bringen sollte, da dies eine vorherige Genehmigung erforderlich machen würde. Dies wäre absolut verfassungswidrig und im Hinblick auf internationale Menschenrechtsnormen höchst umstritten.

Darüber hinaus macht die Vorankündigung von fünf Tagen eine spontane Protestaktion unmöglich, abgesehen von der Missachtung vieler sozialer Dynamiken bei der Organisation sozialer Bewegungen. Denn schon die Festlegung der Route vor dem Protest kann eine Form des Schutzes vor offensichtlicher Polizeirepression darstellen. Aus diesen Gründen sollte das Fehlen einer Vorankündigung nicht zu Einschränkungen der Protestfreiheit oder der Kriminalisierung von Demonstrierenden führen.

Ein zweiter besorgniserregender Aspekt des Dekrets ist die Kriminalisierung der Verwendung von Masken10. Dem Dekret zufolge würde der/die Demonstrant/in beim Tragen einer Maske zivilen Ungehorsam begehen. Das Tragen einer Maske ist jedoch eine verfassungsmäßige Praxis, da das Anonymisierungsverbot nicht auf die Verwendung von Masken bei Protesten angewandt werden sollte, da dies nicht die Möglichkeit ausschließt, jemanden zu identifizieren, der eine illegale Handlung begangen hat. Dem Dekret zufolge könnten sogar Personen, die Gasmasken und Schals zum Schutz vor Tränengasbomben tragen, wegen des Verbrechens des zivilen Ungehorsams verhaftet werden.

Erwähnenswert ist auch, dass nach der brasilianischen Verfassung11 die Definition bestimmter Verhaltensweisen als Verbrechen nicht in den Geltungsbereich der Exekutive fällt. Dies bedeutet, dass die Regierung eine Verhaltensweise nicht als Straftat definieren kann, wie dies bei der Verwendung von Masken bei Protesten der Fall ist, da dies über die Zuständigkeit der Landesregierung hinausgeht. Daher ist die Schaffung von Strafgesetzen im Geltungsbereich der Legislative und sollte nicht durch ein Dekret erfolgen.

Zu guter Letzt setzt das Dekret auch zulässige Gegenstände Waffen gleich, indem es den Besitz von Objekten wie spitzen Gegenständen, Stöcken und Steinen verbietet und sie mit Feuerwaffen und weißen Waffen gleichstellt.

An dieser Stelle ist es wichtig zu erwähnen, dass das Mitführen von „weißen Waffen“ von einem großen Teil der brasilianischen Lehre und Rechtsprechung als Straftat betrachtet wird. Das Bundesgericht prüft derzeit die Angelegenheit13, hat sich aber noch nicht dazu geäußert.
Die Verfassungswidrigkeit des Dekrets ist offensichtlich, da es neue rechtliche Zuordnungen zu Gegenständen schafft, die Verwendung von Flaggen verbietet und außerdem andeutet, dass die Organisatoren der Proteste für Verhaltensweisen verantwortlich gemacht werden können, die von Dritten stammen.

Es ist wichtig zu betonen, dass diese Art illegaler Praktiken des Staates São Paulo nicht als neues Merkmal betrachtet werden sollte. Im Juni 2013 verursachte der Anstieg der Preise für Busse, U-Bahnen und Züge einen großen Aufruhr in weiten Kreisen der Bevölkerung, insbesondere in ärmeren Teilen der Gesellschaft. Angesichts dieses Szenarios organisierten Demonstrierende im Juni 2013 eine Reihe von Protesten gegen den Missbrauch von Zöllen sowie gegen die schlechten Bedingungen für den öffentlichen Nahverkehr im ganzen Land. Dabei wurde der Protest von der Polizei in hohem Maße unterdrückt, und zwar durch ein massives Polizeiaufkommen während dieser Ereignisse. Die Polizei war in mehrere Gruppen eingeteilt und näherte sich und durchsuchte Hunderte von Passanten, was breit in der Presse berichtet wurde.

In dieser Situation setzte sich eine Gruppe von öffentlichen Verteidiger/innen für den Schutz der Demonstrierenden ein und sammelte Nachweise über Hunderte von Verhaftungen für Ermittlungen, die in diesem Zusammenhang stattfanden. Darüber hinaus hat das Büro der öffentlichen Pflichtverteidiger/innen des Staates São Paulo im Jahr 2013 eine Zivilklage eingereicht, um dem Staat die Praxis der „Festnahme wegen Ermittlungen“ zu verbieten. Die Klage wurde vom Landgericht abgewiesen und wartet vor dem Bundesgerichtshof auf ein Urteil.

Darüber hinaus hat die Militärpolizei des Staates São Paulo in der ersten Protestwelle 2013 die Erfassung von fotografischen Bildern und audiovisuellen Aufzeichnungen von Demonstrierenden durch Kameras, Drohnen und Camcorder eingeführt.

Die Überwachung basierte auf einer Richtlinie, die die Einrichtung einer offiziellen Datenbank von Protesten und Demonstrierenden ermöglichte, was die Meinungsfreiheit durch Verletzung der Privatsphäre eindeutig gefährdet und als Instrument zur Einschüchterung und Kriminalisierung von Demonstrierenden dient.

Während der dritten Protestaktion am 22. Januar diesen Jahres wurden diese Gesetzesverstöße fortgesetzt anhand einer Reihe von polizeilichen Maßnahmen, die das Verbot der Verwendung von Masken durch die Teilnehmenden15 mit gesetzlicher Unterstützung durch das Dekret 64.074/2019 zum Ziel hatten. Zu Beginn des Protestes kündigte die Polizei das Verbot der Verwendung von Masken an und forderte deren Entfernung und Festnahme [der Demonstrierenden]16.

Dieses Vorkommnis vom 22. Januar verdeutlicht die Bestrebungen, das von der Regierung von São Paulo herausgegebene Dekret umzusetzen, das zahlreiche rechtliche Unstimmigkeiten aufweist und mit internationalen Richtlinien nicht einhergeht.

Es ist offensichtlich, dass dieses gegenwärtige Szenario der Repression nicht getrennt betrachtet werden sollte von früheren polizeilichen Aktionen in Bezug auf Proteste, sondern eine Fortsetzung der restriktiven Praktiken ist, die sich vonseiten der brasilianischen Behörden zur Norm entwickeln.

 

 

Schlussfolgerung

 

Wie oben dargelegt, sind Demonstrierende in Brasilien derzeit einer Reihe von Verstößen ausgesetzt, darunter: (i) Intensivierung der staatlichen Überwachungsapparate durch den Einsatz von Kameras und Drohnen; (ii) Einsatz von Unterdrückungstechniken wie "Einkesselung" und wahlloser Einsatz von Gummigeschossen und Tränengasbomben; (iii) Kontrolle der Demonstrationsstrecke durch das Verbot des Protestes auf bestimmten Routen mit hoher Sichtbarkeit; (iv) Verbot des Tragens von Masken und Fahnenstangen; (v) Einschüchterungstechniken wie wahllose Durchsuchungen und willkürliche Verhaftungen.

Zusätzlich zu diesen von Sicherheitsbehörden ausgeübten Handlungen treten die Einschränkungen auch in anderen Bereichen der staatlichen Gewalt auf, wie aus der Ausgabe des Dekrets Nr. 64.074/2019 hervorgeht.

Durch die Analyse des Dekrets sowie durch den Kontext, in dem es veröffentlicht wurde, wird deutlich, dass es Teil eines Szenarios der Verschärfung und Verfeinerung der Instrumente der Unterdrückung, Kriminalisierung und Einschränkung des Protestrechts ist.

Angesichts dieser kurzen Zusammenfassung der Hauptthemen der jüngsten Protestereignisse im Land fordern wir, die Unterzeichner/innen-Organisationen, den Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für die Rechte der friedlichen Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit auf, diesbezüglich eine öffentliche Stellungnahme abzugeben und einzufordern, dass die Regierung internationale Normen einhält, indem sie folgende Maßnahmen ergreift:

I. Das Verbot willkürlicher Festnahmen von Demonstrierenden;
II. Das Verbot der Überwachungspraxis bei Protesten;
III. Das Verbot willkürlicher Durchsuchungen durch die Polizei;
IV. Die Garantie, dass die Demonstrationsstrecke durch die Demonstrierenden selbst definiert wird, ohne staatliche Einmischung;
V. Die Überwindung eines unnötigen und unverhältnismäßigen Einsatzes der Polizei durch Organe der öffentlichen Sicherheit;
VI. Die Aufhebung des Dekrets Nr. 64.074/2019 und des Gesetzes Nr. 15.556/2014, das durch das Dekret reguliert wird;
VII. Die Identifizierung von Polizeibeamt/innen mit Namen, Patent und ID-Nummer im Helm und in der Uniform, die aus großer Entfernung sichtbar sein sollte, sowie das Verbot der Verwendung von Masken durch die Militärpolizei;
VIII. Die Ernennung eines Vermittlers, der nicht Teil der Polizei und der öffentlichen Sicherheit ist, um die Kommunikation zwischen Demonstrierenden und Behörden zu erleichtern;
IX. Das Aktionsverbot der "Tropa de Choque" bei Demonstrationen;
X. Die Schaffung transparenter Richtlinien für den Einsatz der Polizei bei Protesten, unter Beteiligung von Ombudsmännern, der Staatsanwaltschaft, Zivilgesellschaftsorganisationen und anderer interessierter Institutionen, entsprechend internationaler Demonstrationsnormen;
XI. Die Umsetzung von kompetenzbildenden Workshops für Polizeibeamt/innen, die während der Proteste im Bereich Sicherheit arbeiten, gemäß der gesetzlichen Rahmenbedingungen, mit dem Hauptziel, Behörden auf derartige Situationen vorzubereiten und den Demonstrationsvorgang zu erleichtern.

Unterzeichner/innen

Dieser dringende Aufruf wurde von folgenden Organisationen unterzeichnet:

ARTICLE 19 BRAZIL
Südamerika-Regionalbüro
Camila Marques
camila@article19.org

Núcleo Especializado de Situação Carcerária da Defensoria Pública do Estado de São Paulo (Zentrum öfentlicher Verteidiger des Staates São Paulo spezialisiert in Haftbedingungen)
Leonardo Biagioni de Lima, Mateus Oliveira Moro, Thiago de Luna Cury
nucleo.carceraria@defensoria.sp.def.br

Instituto Terra, Trabalho und Cidadania (Institut Boden, Arbeit und Bürgerrecht)
Raissa Belintani
justicasemmuros@ittc.org.br

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Henrique Apolinario
henrique.souza@conectas.org

Instituto Brasileiro de Ciências Criminais (Brasilianisches Institut der Kriminalwissenschaften)
Paulo Cesar Malvezzi Filho
paulo.cesar@ibccrim.org.br

Conselho Estadual de Direitos da Pessoa Humana (Staatlicher Rat für Menschenrechte)
Dimitri
Sales
dimitrisales@dimitrisales.com.br

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