Rousseff stoppt Aufklärungskampagne über Homophobie

Auf Druck von christlich-konservativen Regierungsabgeordneten entschied Präsidentin Dilma Rousseff am 25. Mai 2011, die Produktion und Verbreitung des durch die Medien als „Anti-Homophobie-Kit“ bekannten schulischen Aufklärungsmaterials gegen Homosexuellen-Feindlichkeit einzustellen. Das „Anti-Homophobie-Kit“ wurde vom brasilianischen Bildungsministerium (MEC) zum Einsatz im Schulunterricht konzipiert und teilweise in Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen produziert. Laut Spiegel beglückwünschte der rechte Abgeordnete Jair Bolsonaro Präsidentin Rousseff: "Mit der Entscheidung wurde verhindert, dass die Schulen mit Material überschwemmt werden, das nicht die Homophobie bekämpft, sondern vielmehr zu Homosexualität stimuliert."
| von Phillip Andrae

Das „Anti-Homophobie-Kit“ enthält verschiedene pädagogische Materialien; darunter die Aufklärungsvideos, welche im Fokus der Diskussion standen. Konservative Kräfte bezeichneten diese als „Werbekampagne“ für Homosexualität und beklagten die Darstellung einer Kussszene zwischen zwei Mädchen. Angeheizt wurde die Diskussion durch die Veröffentlichung falscher Informationen und Videos seitens fundamentalistischer Kräfte, die als Teil des „Anti-Homophobie-Kits“ dargestellt wurden.
Die Vereinigung brasilianischer Frauen (AMB) kritisierte in ihrer Presseerklärung vom 31. Mai 2011 aufs schärfste diese „Hetzkampagne“ und die gezielte Manipulation von Informationen und forderte eine Klarstellung und Bestrafung der für die Veröffentlichung verantwortlichen Personen.

Entäuscht zeigten sich insbesondere Schwulen- und Lesbenverbände über die Entscheidung Rousseffs zur Einstellung der Produktion und Verteilung des Materials an Schulen. Die brasilianische Vereinigung ABGLT (Associação Brasileira de Lésbicas, Gays, Bissexuiais, Travestis e Transexuais) beklagt in ihrer offiziellen Stellungnahme zur Einstellung der Aufklärungskampagne vom 25. Mai insbesondere den Einfluss religiöser Gruppen auf die staatliche Entscheidungsmacht und verweist auf die säkulare Staatsordnung Brasiliens. Desweiteren beklagt die ABGLT die Situation von Schwulen und Lesben in Brasilien, die laut zahlreicher Studien in ihrem Alltag häufig mit Vorurteilen und Diskriminierung zu kämpfen haben. Sie sieht die Einstellung der Anti-Homophobie-Kampagne als herben Rückschlag im Kampf gegen Homophobie an.

Auch aus Universitätskreisen ist Enttäuschung über die Entscheidung von Präsidentin Rousseff zu vernehmen. Die Psychologieprofessorin der Universität von Brasilia, Jaqueline Gomes de Jesus, hält diese Art von schulischem Aufklärungsmaterial über Vielfalt für grundlegend und stellt in einem Interview mit dem Nachrichtenportal UOL die Frage: „Wie sollen die Kinder die reale Welt kennenlernen, wenn es kein Material gibt, das ihnen diese Realität vermittelt?“ An gleicher Stelle meldet sich die Professorin für Kommunikationswissenschaft der Universität in São Paulo (USP), Laurindo Leal Filho, zu Wort. Sie ist überzeugt, dass das Material einen großen Beitrag im Kampf gegen Homophobie leisten kann und meint, dass das vorgelegte pädagogische Material für seine Feinfühligkeit gefeiert werden sollte: „Die Videos behandeln ein heikles Thema mit sehr viel Fingerspitzengefühl und Sorgfalt und vermitteln dieses auf eine Art und Weise, die genau auf Jugendliche zugeschnitten ist.“

Das vom Bildungsministerium produzierte Material fand Unterstützung durch die nationale Bildungskonferenz und wurde von verschiedenen Institutionen und Organisationen abgesegnet, darunter das brasilianische Justizministerium, der Bundesrat der Psychologen und Psychologinnen, die UNESCO und UNAIDS. Es ist erschreckend, dass trotz breiter institutioneller Unterstützung der Einfluss fundamentalistischer Kräfte die Einführung des Schulmaterials verhinderten.