Brief an Bundesminister Gerd Müller

Anfang März wird Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, nach Brasilia reisen. Er wird dort u.a. Ministerin Damares Alves treffen, die nun für die Indigenenbehörde FUNAI zuständig ist. KoBra hat den nachfolgenden Brief an den Minister verfasst und am 19.02. verschickt.
| von KoBra
Brief an Bundesminister Gerd Müller

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Endversion inkl. Unterzeichner*innen (PDF)
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Sehr geehrter Herr Minister,

Mit großer Sorge verfolgen wir die jüngsten Entwicklungen in Brasilien. Wir sind überzeugt, dass Sie diese Sorgen teilen und die problematischen Äußerungen des Präsidenten Jair Bolsonaro über Umweltpolitik und die Rechte indigener Völker und traditioneller Gemeinschaften kennen.

Leider folgen den Ankündigungen auch die ersten Taten. Nichtregierungsorganisationen (NROs) werden durch den neuen Umweltminister Ricardo Salles unter Generalverdacht gestellt und bestehende Kooperationen ohne konkreten Anlass überprüft bzw. suspendiert. Die Behörde für die Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen mit Bezug zu indigenen Völkern, FUNAI, ist vom Justizministerium in ein neu geschaffenes Ministerium für Frauen, Familie und Menschenrechte transferiert worden – ein Schritt, der von den indigenen Organisationen Brasiliens deutlich kritisiert wird.

Ebenso besorgniserregend ist die Konzentration aller Landrechtsfragen in der neugeschaffenen Secretaria Especial de Assuntos Fundiários (Seaf) innerhalb des Landwirtschaftsministeriums, das damit zuständig wird für die Demarkierung indigener Gebiete und der Gebiete von Quilombolas. Der neue Leiter der Seaf, Luiz Antônio Nabhan Garcia, hat sich in der Vergangenheit als Präsident der radikalen Gruppierung der traditionellen Landoligarchien, União Democrática Ruralista/UDR, immer wieder gegen die Demarkierung dieser Gebiete eingesetzt.

Wir möchten daran erinnern, dass die deutsche Entwicklungs-zusammenarbeit (EZ) Wichtiges und Bedeutendes für die Anerkennung und rechtliche Regulierung indigener Gebiete geleistet hat – das im Rahmen des „Pilotprogramms zur Erhaltung der tropischen Regenwälder Brasiliens (PPG7) angelegte Programm zur Demarkierung von Indigenengebieten PPTAL (Projeto Integrado de Proteção às Populações e Terras Indígenas da Amazônia Legal) gilt bis heute als eines der erfolgreichsten Projekte der internationalen Kooperation. Die Erfahrungen zeigen, dass eine starke staatliche Institution und die umfassende Beteiligung von indigenen Organisationen und NROs die Voraussetzungen für diese Erfolge bildeten. Deshalb sehen wir nicht nur die verbalen Attacken auf die Zivilgesellschaft sondern auch die unverantwortlichen Mittelkürzungen der letzten Jahre für die FUNAI mit großer Sorge.

Die neuen Zuständigkeiten in den brasilianischen Ministerien lassen auch Fragen bezüglich der bestehenden Unterstützung des Programms Terra Legal durch die deutsche EZ aufkommen. Zivilgesellschaftliche Organisationen haben das Programm nach verschiedenen Änderungen als „Programm der Landnahme“ kritisiert, das nicht mehr, wie ursprünglich geplant, legitime Landzuteilungen für Kleinbauern und -bäuerinnen priorisiert.

Wir sind sicher, dass Sie in Brasilien auf die Bedeutung der Menschenrechte für die deutsche Kooperation hinweisen werden und keine Zweifel daran lassen werden, dass deren Respektierung die Basis für die Fortführung der Zusammenarbeit sein muss. Wir bitten Sie, auch deutlich zu machen, dass die aktive Beteiligung der Zivilgesellschaft in Brasilien an der Projektarbeit unverbrüchlicher Bestandteil der Kooperation bleibt und - aufbauend auf guten Erfahrungen in der Vergangenheit - fortgesetzt werden soll. Wir würden es daher begrüßen, wenn Sie VertreterInnen der in Brasilien engagierten deutschen Zivilgesellschaft vor und nach Ihrer Reise zu einem Meinungsaustausch einladen würden.

Die unterzeichnenden Personen und Institutionen sind seit vielen Jahren, zum Teil seit Jahrzehnten, in Brasilien engagiert und kennen daher die ökonomischen, sozialen und politischen Problemlagen, mit denen sich die brasilianische Gesellschaft konfrontiert sieht. Wir wissen aber auch um die oft mühsam erkämpften Fortschritte, die auf dem langen Weg der Festigung und des Ausbaues der noch jungen Demokratie Brasiliens erreicht wurden. Diese Entwicklung – zu der wir weiter unseren bescheidenen Beitrag leisten wollen – droht nun zunichte gemacht zu werden. Dies zu verhindern, ist naturgemäß in erster Linie Aufgabe der brasilianischen Gesellschaft. Jedoch kann diese durch das solidarische Handeln der internationalen Zivilgesellschaft wie auch der internationalen Staatengemeinschaft eine wichtige Unterstützung erhalten.

Wie die historische Erfahrung – nicht zuletzt auch unsere eigene Geschichte – zeigt, verstehen autoritäre Regime Abwarten als Aufmunterung, Schweigen als Zustimmung und Anpassung als Unterwerfung. Wir bitten Sie daher, jetzt zu handeln.

Wir danken Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Mit freundlichen Grüßen

KoBra - Kooperation Brasilien e.V.

Mitunterzeichnende: