Verschnaufpause vor Gericht

Brasiliens Oberster Gerichtshof (=Supremo Tribunal Federal) lehnt die von Konservativen befürwortete Stichtagsregelung bei Demarkationen von Quilombola-Territorien ab.
| von Thomas Bauer
Verschnaufpause vor Gericht
Foto: Pirama Nachdenkzeit

Von Thomas Bauer

Der Donnerstag (08.02.2018) dieser Woche war ein geschichtsträchtiger Tag! Ein Tag, an dem den Quilombolas, den Nachfahren entflohener Sklaven, eine Verschnaufpause eingeräumt wurde. Denn nach insgesamt sechs Jahren Gerichtsverhandlung hat der Oberste Gerichtshof mit acht zu drei Stimmen für die Aufrechterhaltung des Dekrets 4887/2003 gestimmt.

Dieses Dekret, das damals im Jahr 2003 während der ersten Regierungsperiode Lulas verabschiedet wurde, reguliert die Demarkierung der Territorien der Quilombola-Gemeinschaften. Es wurde von konservativen Abgeordneten angefochten und als verfassunsgwidrig in Frage gestellt. Die Rechte forderte, dass nur die Territorien anerkannt und regularisiert werden sollten, die zum Zeitpunkt der Stichtagsregelung, dem sogenannten marco temporal, also dem Datum als die brasilianische Bundesverfassung im Oktober 1988 verabschiedet wurde, von indigenen oder Quilombola-Gemeinschaften besetzt waren. Das hätte bedeutet, all den traditionellen Gemeinschaften den Rechtsanspruch auf ihre traditionell angestammten Territorien abzusprechen, wenn sie zu jenem Stichtag nicht auf dem Territorium gelebt haben. Dies hätte bedeutet, dass der Landraub, die jahrhundertlange brutale Gewalt und Diskriminierung nachträglich noch einmal bestätigt würde.

Unter den sozialen Bewegungen, darunter auch der CONAQ (=nationale Koordination der Quilombola-Gemeinschaften), der CPT (=Landpastoralkommision) und weiteren gab es lautstarke Kritik. Sie befürchteten, das bei einer möglichen Gesetzesänderung der Rechtsanspruch der traditionellen Völker und Gemeinschaften auf die Territorien nicht gewährleistet wäre. Sie befürchten zudem, dass dies zu einer noch stärkeren Welle von Gewalt, Intoleranz und Diskriminierung führen würde.

Cláudio Fonteles, pensionierter Generalstaatsanwalt und renomierter Jurist kommentierte die Entscheidung mit den folgenden Worten: “Die Identifizierung der Territorien, die zu den Überresten der Quilombola-Gemeinschaften gehören, muss nach geschichtlichen und kulturellen Kriterien erfolgen, die für die Gemeinschaft spezifisch sind, sowie unter der Berücksichtigung ihrer sozioökonomischen Aktivitäten.” Seiner Meinung nach ist die kollektive Identität ein wichtiger Wegweiser für die Regulierung der Territorien.

Laut Layza Queiroz, Rechtsanwältin einer NGO für Landrechte, ist der Prozess ein Meilenstein in der Geschichte der Quilombola-Rechte. „Die Bestätigung der Verfassungsmäßigkeit des Dekrets und die Ablehnung der These des Zeitrahmens ist ein immenser Sieg der Quilombola-Gemeinschaften, insbesondere im Kontext einer konservativen Offensive und des Entzugs von Rechten. Der brasilianische Staat ist mehr denn je voll und ganz mit der Verfassung und dem Erlass einverstanden und garantiert die notwendigen Ressourcen für die Betitelung der Territorien der Quilombola.“

Beigetragen zu diesem Erfolg hat mit Sicherheit auch die Kampagne #NenhumQuilombolaaMenos unterstützt durch die CONAQ, CPT, AATR, Conectas, Comissão Pró-Índio, Uma Gota no Oceano, Justiça Global sowie Terra de Direitos, die mit insgesamt mehr wie 113.000 Unterschriften das Recht auf Land der Quilombolas einforderte.