ThyssenKrupp-Stahlwerk in Rio: Erneut massiver Staubregen auf Anwohner

Umweltbehörden von Rio de Janeiro verhängen Millionenstrafe. Das Stahlwerk von ThyssenKrupp im Stadtteil Santa Cruz, Rio de Janeiro, hat derweil noch immer keine endgültige Betriebsgenehmigung.
| von Christian Russau
ThyssenKrupp-Stahlwerk in Rio: Erneut massiver Staubregen auf Anwohner
Anwohnerprotest gegen den Staub

Rio de Janeiro. Anfang dieser Woche ist es in dem umstrittenen Stahlwerk TKCSA von ThyssenKrupp in Rio de Janeiro erneut zu einem massiven Ausbruch von silberfarbigem Staub gekommen, der auf die angrenzenden Häuser der dortigen Bewohner niederregnete .
Anwohner berichteten gegenüber KoBra von unerträglichen Zuständen. Techniker des Umweltamtes INEA wurden am Mittwoch vor Ort geschickt, um den Beschwerden der Anwohner nachzugehen . Dann am Donnerstag Mittag (Ortszeit) verhängte die Umweltbehörde über das ThyssenKrupp-Stahlwerk ein Strafgeld in Höhe von 10,5 Millionen Reais (umgerechnet knapp vier Millionen Euro). Der Umweltminister von Rio de Janeiro, Carlos Minc, erklärte: "Meine Geduld ist am Ende". Es sei nicht das erste Mal, dass die Firma solchen Pfusch treibe, so der Umweltminister. "Jetzt haben sie die zweite gelbe Karte erhalten. Die nächste ist der Platzverweis", erklärte Minc in klarer Anspielung auf eine drohende Schliessung des Werks.

Die Präsidentin des Umweltamtes INEA, Marilene Ramos, erklärte, dass die Staubpartikel die Gesundheitsprobleme bei den Anwohnern verschlimmern können. "Es handelt sich um sehr feinen Staub, der sich absetzt, in die Häuser der Menschen eindringt, Dreck mitbringt, und die Menschen berichten von Haut- und Atembeschwerden", so Ramos.

Dies ist nicht das erste Mal, dass metallischer Staub auf die Anwohner des Stahlwerks im Ortsteil Santa Cruz, Rio de Janeiro, niederregnet. Kurz nach Betriebsaufnahme von Lateinamerikas größtem Stahlwerk im Juni 2010 und zu Weihnachten 2010 war es zu Staubausbrüchen gekommen. Die Bewohner klagen seither über Atemwegserkrankungen und Hautreizungen. ThyssenKrupp spielte die Staubbelastungen herunter und betonte wiederholt, der Staub sei "nur Graphit" und stelle keine Gesundheitsgefährdung dar. Im Oktober 2011 jedoch stellten Forscher der dem Gesundheitsministerium unterstellten Stiftung Fundação Oswaldo Cruz (FIOCRUZ) ihre Studienergebnisse zu den Staubproben vor. Dieser weise entgegen der Beteuerung des deutschen Stahlkochers auch giftige Schwermetalle auf, so die Wissenschaftler von FIOCRUZ. Demnach enthalte der Staub nicht wie von ThyssenKrupp wiederholt behauptet "nur Graphit", sondern auch "Eisen, Kalzium, Mangan, Silizium, Schwefel, Aluminium, Zinn, Titan, Zink und Kadmium".

Auch die Staatsanwaltschaft des Bundesstaates Rio de Janeiro wollte dem Treiben der Deutschen nicht länger tatenlos zusehen und erhob Anfang Dezember 2010 wegen massiver Umweltbelastungen Anklage gegen das Stahlwerk sowie gegen zwei der projektverantwortlichen Manager. Letzteren drohen bei Verurteilung bis zu neunzehn Jahre Haft. Im Mai 2011 hatte der Umweltminister von Rio de Janeiro, Carlos Minc, unmißverständlich klargestellt, dass der Konzern ein weiteres Austreten von Staub zu verhindern habe. TKCSA müsse brasilianische Gesetze erfüllen oder, so Minc, "es wird geschlossen". Wegen der anhaltenen Umweltbelastungen hat das ThyssenKrupp-Stahlwerk bis heute noch keine endgültige Betriebsgenehmigung von den Behörden erhalten. Im April 2012 hatte die Firmenleitung mit den Umweltbehörden von Rio ein Abkommen über die neuen Durchführungsbestimmungen für das Werk geschlossen, um die Umweltbelastungen einzustellen .

Die nun wiederholt auf die Anwohner niederregnenden Staubwolken entstehen, wenn glühendes Roheisen in die Abkühlungsbecken abgeleitet werden muss, anstatt es im Stahlwerk selbst weiter zu verarbeiten. Auf Anordnung der Umweltbehörden hatte ThyssenKrupp im vergangenen Jahr diese als Notgruben fungierenden Becken mit Bewässerungsanlagen ausgestattet, um so das Entweichen des Metallstaubs zu unterbinden. Die Firmenleitung von ThyssenKrupp erklärte zu dem Vorfall von Anfang dieser Woche gegenüber brasilianischen Medien, dass mit der gegenwärtig herrschenden Trockenheit und an den anhaltenden Windböen die Bewässerungseinrichtung "nicht ausreichend war, um das Freisetzen der Partikel zu verhindern".

Indessen treten die Gräben zwischen den beiden Eigentümern des Stahlwerkes, ThyssenKrupp und Vale, immer offener zutage. Der Präsident des brasilianischen Bergbaukonzerns Vale, Murilo Ferreira, erklärte am Mittwoch gegenüber Vertretern sozialer Bewegungen in Rio de Janeiro, dass seine Firma keine Verantwortung für die TKCSA vorgeworfenen Verstöße trage. Angesprochen auf zwei der höchst umstrittenen Projekte, an denen Vale eine Minderheitsbeteiligung hält – dem Staudammbau Belo Monte im amazonischen Bundesstaat Pará und dem Stahlwerk TKCSA in Rio de Janeiro – erklärte Murilo Ferreira wörtlich: "TKCSA und Belo Monte befinden sich außerhalb meiner Kontrolle. Wir sind Minderheitseigner. Innerhalb der TKCSA können wir nur zur Toilette gehen, wenn es uns gestattet ist". Ähnliches hatte einer der Vorsitzenden von Vale bereits auf der Aktionärsversammlung in Rio de Janeiro eingestanden. Der Generaldirektor von Vale, Clovis Torres, hatte in Anwesenheit von Vertretern von brasilianischen Umweltgruppen auf die Kritik an dem Stahlwerk reagiert und der Kritik beigepflichtet: "Wir sind nicht einverstanden mit ihrer Politik", sagte Torres in Bezug auf die Umweltverschmutzung, für die das Stahlwerk verantwortlich gemacht wird. Man habe aber nicht die ausübende Macht des Managements, so Torres weiter: "Wir sind nur Minderheitseigner". Man pflichte den kritischen Aktionären aus Umweltgruppen und sozialen Bewegungen bei, könne sich wegen des mangelnden Interesses an den Werksanteilen bislang aber nicht aus dem skandalbelasteten Geschäft zurückziehen. Dies berichtete im April dieses Jahres das Portal Xingu Vivo. Torres ergänzte demnach, dass Vale die rund 27 Prozent am Thyssen-Krupp-Stahlwerk TKCSA bisher wegen mangelnden Interesses nicht verkaufen konnte. Auf Nachfrage von Aktivisten von Nichtregierungsorganisationen sagte der Generaldirektor von Vale, Clovis Torres, niemand wolle die Anteile kaufen. Kurz darauf beeilte sich Vale, in den Medien zu versichern, sie hegten keine Verkaufsabsichten für ihren Werksanteil an dem TKCSA-Stahlwerk und bedauerten die Äußerungen ihres führenden Mitarbeiters, die mißverständlich gewesen seien.

In den vergangenen Monaten wurde Vale immer wieder als einer der möglichen Interssenten für den Erwerb des ThyssenKrupp-Anteils an dem Stahlwerk gehandelt, was Vale aber wiederholt dementierte. Derzeit versucht ThyssenKrupp weiter, einen Käufer für das umstrittene und defizitäre Werk in Rio de Janeiro zu finden. Als Interessenten werden Medienberichten zufolge die Stahlkonzerne JFE Steel Corporation, Posco, CSN, ArcelorMittal, Vale, Baosteel, US Steel und Nucor gehandelt. Laut übereinstimmenden Medienberichten zeigte sich die Essener Firmenleitung des DAX-Konzerns nicht mit den bis Ende September eingereichten Geboten von Mitbewerbern für die Werke in den Amerikas zufrieden und forderte die Bietenden zu neuen Geboten auf. Zweifelhaft bleibt, ob ThyssenKrupp überhaupt Käufer für das Stahlwerk in Rio de Janeiro finden wird, die bereit sein werden, das Risiko einzugehen, ein in der Bevölkerung heftig umstrittenes Werk zu kaufen. Denn auch die Umweltgruppen in Rio de Janeiro sind nicht bereit, die Umweltbelastungen länger hinzunehmen und fordern die Schliessung des Werks. Gemeinsam mit Anwohnern setzen sie sich für den Umbau der Anlage in ein universitäres Ökotechnologiezentrums, das der lokalen Bevölkerung zugute kommt, ein. Um die Entschlossenheit der Umweltgruppen und Anwohner den potentiellen Käufern klar zumachen, haben diese den in den Medien am Kauf des Werks genannten interessierten multinationalen Konzern Dossiers zu den Umweltbelastungen des Stahlwerks Ende September dieses Jahres zukommen lassen. So ist es durchaus fraglich, welche der am Erwerb des ThyssenKrupp-Stahlwerks in Rio interessierten Konzerne das Risiko einzugehen bereit sind, ein derat umstrittenes Werk zu kaufen – auch in Anbetracht dessen, dass die behördliche Genehmigung noch immer aussteht und keineswegs als gesichert angesehen werden kann.