Offener Brief des Runden Tisches Brasilien an den Präsidenten der Republik Brasilien, Herrn Lula

Herrn Luiz Inácio Lula da Silva Präsident der Republik Brasilien Palácio do Planalto 3. Stock - Praça dos Três Poderes 70150-900 - Brasília - DF - Brasilien Deutschland, den 02. März 2005
| von Michael Windfuhr

Sehr geehrter Herr Präsident,

herzlich grüßen Sie die im Runden Tisch Brasilien zusammen geschlossenen Menschenrechtsorganisationen, Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit und der Solidarität aus Deutschland, die sich für Menschenrechte, für soziale Gerechtigkeit und nachhaltige Entwicklung in Brasilien einsetzen.

Unserer Empörung über die jüngste Welle der Gewalt gegenüber der ländlichen und städtischen Bevölkerung in Brasilien möchten wir Ausdruck verleihen. Wir sind erschüttert über die während der letzten Wochen im Bundesstaat Pará anhaltende Serie von Morden an Arbeitern und Arbeiterinnen, führenden Persönlichkeiten aus Bürgerbewegungen, MenschenrechtlerInnen und Menschenrechtlern; unter ihnen Dorothy Stang und Daniel Soares de Souza, die von Killern im Auftrag von Großgrundbesitzern und Politikern des Bundesstaates ermordet wurden.

Die derzeitige Gewalt ist keine Folge lokaler Konflikte, sondern Konsequenz struktureller Probleme, der aktuellen Politik und von Regierungsversäumnissen. Die Politik der derzeitigen Regierung hat nicht zur Wahrung der sozialen und ökonomischen Menschenrechte der ärmeren Bevölkerungsschichten Brasiliens geführt. In einigen Fällen destabilisierte sie sogar die Situation der sozial schwächsten Gruppen. Die Exportpolitik um jeden Preis, die Förderung einer unkontrollierten Expansion des Kapitals in den Gebieten der Agrarfront, sind ursächlich für die Verschlimmerung der Konflikte in den ländlichen Regionen und für die wachsende Anzahl an Morden an Bauern, Führungspersönlichkeiten aus sozialen Bewegungen und MenschenrechtlerInnen. Landnutzer und Landarbeiter sind weiterhin nicht durch staatliche Institutionen geschützt und von der Gunst einer ländlichen Oligarchie abhängig, die entwaldet, versklavt und mordet, um angesichts der Exportpolitik der Regierung ihre Gewinnchancen zu erhöhen. Der Anstieg der Gewalt war absehbar, denn ein ähnliches Entwicklungsmodell mit vergleichbaren Folgen wurde in der Amazonasregion durch die Militärregime bereits früher angewandt. Daher können wir das Argument nicht akzeptieren, dass die Gewalt stattfinde, weil die Regierung vermeintlich die Landreform angehe. Wo ist der Vorrang für die Agrarreform, wo der Einsatz für eine Markierung der indigenen Gebiete und wo die Priorität für eine Überschreibung der Gebiete für ehemalige Quilombo-Bewohner? Was wir sehen, ist bestenfalls eine verlangsamte Kontinuität der auf Marktmechanismen gestützten ineffizienten Agrarpolitik der Vorgängerregierung.

Es ist uns vollkommen unverständlich, wie diese Regierung, in ihrer Mehrheit aus Personen zusammengesetzt, die aus Bürgerrechtsbewegungen hervorgegangen sind, so weit von der Bevölkerung entfernt sein kann, dass es, wie bei der Vorgängerregierung, erst Tragödien bedarf, bevor staatliche Stellen handeln. Desgleichen sind wir der Ansicht, dass medienwirksame Maßnahmen nicht die strukturellen Probleme lösen können, die den Konflikten zugrunde liegen. Beispielsweise ist sich Ihre Regierung dessen bewusst, dass in Abwesenheit des Staates dieselben Großgrundbesitzer und Auftragskiller wie eh und je wieder ihre eigenen Gesetze erzwingen werden, sobald das Militär sich aus den betroffenen Regionen zurück gezogen und die Presse das Thema von der Tagesordnung genommen hat. Und dann werden wieder diejenigen die Leidtragenden sein, die glaubten, nun werde es anders.

Aufgrund des Versprechens, mit ihrer Politik den Zugang zu den Ressourcen zu demokratisieren, den Respekt und den Schutz der Rechte des brasilianischen Volkes zu erweitern und eine einbeziehende und nachhaltige Entwicklung umzusetzen, wurde Ihre Regierung gewählt. Mit diesem Brief möchten wir Sie ermuntern, der Umsetzung einer Agrarreformpolitik und eines integrierenden und nachhaltigen Entwicklungsmodells, das sich an der Wahrung insbesondere der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte orientiert, den Vorrang zu geben. Damit täte Ihre Regierung nicht mehr, als die brasilianische Verfassung anzuwenden und die von Brasilien unterzeichneten internationalen Menschenrechts-, Umwelt- und Arbeitsrechtsabkommen einzuhalten. Wir halten es nicht für vertretbar, wenn der brasilianische Staat weiterhin unkontrolliert die Agrarexportproduktion fördert und mit dieser Regierungspolitik systematische Menschenrechtsverletzungen, wie Morde an Landarbeitern und Menschenrechtlern, Sklavenarbeit und die Zerstörung der natürlichen Ressourcen begünstigt.

Wir sind davon überzeugt, dass die Straflosigkeit und die fortdauernde soziale Ungerechtigkeit auf dem Lande und in den Städten der Gewalt gegen Arbeiter und Arbeiterinnen Vorschub leisten. Dies stellt einen Anschlag auf den demokratischen und verfassungsmäßigen Einsatz des brasilianischen Volkes für seine Grundrechte dar. Wir fordern Sie auf, im Sinne der vom brasilianischen Staat eingegangenen Menschenrechts- Verpflichtungen die nötigen Vorkehrungen zu treffen, um die Verbrechen zu verfolgen und die Verantwortlichen ihrer Strafe zuzuführen, indem Sie Straffverfolgung und Gerichtsverhandlungen auf nationaler Ebene handhaben und geeignete Schutzmechanismen für Bauern, Bäuerinnen und Menschenrechtler effektiv einführen. Bitte informieren Sie uns über diesbezüglich getroffene Maßnahmen.

Mit freundlichen Grüßen,
Michael Windfuhr
Generalsekretär von FIAN

Im Namen der unterzeichnenden Organisationen des Runden Tisches Brasilien: Kooperation Brasilien - KoBra, MISEREOR, Missionszentrale der Franziskaner MZF, Ökumenische Werkstatt Kassel ÖWK, Brot für die Welt, FIAN, Evangelischer Entwicklungsdienst EED, Kirchlicher Entwicklungsdienst Bayern - KED 3