Interview mit dem Generalsekretär von Ví­a Campesina

Der Honduraner Rafael Alegria ist Generalsekretär der internationalen Bauernorganisation Vía Campesina.
| von Rogéria Araujo (Nacherichtenpool Lateinamerika)

 

npl: Hat die internationale Vía Campesina- Konferenz, die Mitte Juni im südbrasilianischen Bundesstaat São Paulo stattfand, ihre Erwartungen erfüllt?

Rafael Alegria: Es war ein großer Erfolg, sowohl quantitativ wie qualitativ. Über 500 Delegierte aus rund 80 Ländern waren anwesend. Im Zentrum der Diskussion stand die Rolle, die internationale Organisationen wie die Weltbank, der IWF, die Welthandelsorganisation WTO und mittlerweile auch das System der UNO - namentlich die FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UN) und die Unctad (UN-Konferenz für Welthandel und Entwicklung) - inne haben. Unsere Konferenz verurteilte explizit das Wirtschaftssystem, das diese internationalen Finanzorganisationen durchsetzen wollen.
Bei Vía Campesina sind wir uns darüber bewusst, dass es inzwischen sehr viele unterschiedliche soziale Bewegungen gibt, von denen einige sogar mit Weltbank und IWF zusammenarbeiten. Mit solchen Gruppen ist eine Allianz für uns ausgeschlossen. Zugleich zeigte sich während der Konferenz, dass unser "Weltweites Netz Sozialer Bewegungen" (Rede Mundial de Movimentos Sociais), das vor eineinhalb Jahren in Porto Alegre gegründet wurde, durchaus in der Lage ist, eine gemeinsame Agenda für den Kampf gegen das neoliberale Modell zu formulieren.

npl: Wie beurteilen Sie die Unctad-Konferenz, die zur gleichen Zeit in der Stadt São Paulo stattfand?

Rafael Alegria: Wir haben uns von der Unctad-Konferenz mehr erwartet. Sie machte einen ängstlichen Eindruck, offenbar halten die meisten Delegierten eher zur WTO und zu den multinationalen Unternehmen. Angesichts dieses Verhaltens ist die Position der UNO schwer auszumachen, da sie in der Vergangenheit leider eher den Interessen der Industrieländer gedient hat, statt die armen Länder zu unterstützen.

npl: Welche Rolle spielt das Thema Agrarreform bei Vía Campesina?

Rafael Alegria: Vor allem in Lateinamerika ist die Agrarreform ein zentrales Problem. In Ländern wie Brasilien, Kolumbien oder Guatemala sind die Probleme des Landbesitzes sogar extrem. Da diese Fragen bislang nicht gelöst wurden, plädieren wir bei diesem Thema für eine kontinentale und darüber hinaus globale Strategie. Bereits vor vier Jahren startete Vía Campesina eine globale Kampagne für die Agrarreform, die vor allem eine Unterstützung der Bewegungen im Kampf um Land beinhaltet. Das bedeutet auch Opposition zur Weltbankpolitik, die die Landfrage mittels des Marktes lösen will. Die Frage der Agrarreform ist auch deswegen so wichtig, weil sie nicht nur Kampf gegen Armut bedeutet, sondern auch ein Mittel ist, die Bauern aus der Isolierung, aus der Diskriminierung herauszuholen.

npl: Was unternimmt Vía Campesina, damit die Agrarreformen vorangebracht werden?

Rafael Alegria: Zur Umsetzung einer Agrarreform ist der politische Willen der Regierungen notwendig. Aber die meisten Regierungen in Lateinamerika sind neoliberal ausgerichtet, weswegen darf von ihnen keine Initiative in dieser Richtung erwartet werden. Deswegen bauen wir auf die sozialen Bewegungen, die momentan immer stärker werden. Und es ist gelungen, uns auf regionaler, kontinentaler und globaler Ebene zusammenzuschließen. Wir hatten auch auf eine radikal fortschrittliche Agrarpolitik der Regierung Brasiliens unter Präsident Lula gehofft, was aber nicht eintrat. Dennoch, wenn in Brasilien eine Agrarreform versucht wird, kann dies ein Beispiel für andere Länder sein.
Mit Ausnahme von Bolivien in den 50-er Jahren und später Chile gab es in Lateinamerika nie Initiativen von Oben in Richtung Agrarreform. Jeder Schritt in diese Richtung wurde nur durch Mobilisierungen, Widerstand und Besetzungen erreicht. Deswegen halten wir die Strategie der brasilianischen Landlosenbewegung nach wie vor für den richtigen Weg: Widerstehen, besetzen, produzieren.