Alarmierender Anstieg

Eine Zwischenbilanz über die Entwaldung in Amazonien.
| von Uta Grunert

Im Juni 2013 wurde gewohnheitsgemäß die halbjährliche Entwaldungszwischenbilanz für Amazonien veröffentlicht. Seit August 2012 haben die Waldverluste dort erneut eine Fläche von über 2.300 km2 erreicht[1]. Damit droht die verbesserte Situation der Entwaldungsstatistiken der letzten zwei Jahre erneut zu kippen. Allein im Mai 2013 kamen über 450 km2 neu dazu. Insgesamt stieg die illegale Entwaldung im ersten Halbjahr (August 2012 bis Mai 2013) um 35 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres  an. Die Zahlen im Detail belegen, dass vor allem die Bundesstaaten Mato Grosso und Pará für diese Neuentwaldung im Amazonasraum verantwortlich sind[2].
Für die Waldentwicklungstendenz wurde auf die monatlichen Messwerte des Deter-Satelliten-Systems zurückgegriffen, die das nationale Weltraumforschungsinstitut INPE auswertet und dem Umweltministerium dann zur Veröffentlichung weiterleitet. Da bei den Daten des Deter-Systems die Wolkenbildung einen großen Einfluss auf die Messwerte hat, wird immer auch dieser Wert angegeben.
Die Monate Juni und Juli sind in den oben genannten Daten noch nicht berücksichtigt, obwohl sie erfahrungsgemäß im Jahresverlauf den höchsten Holzeinschlag in der Region aufweisen. Einige Wissenschaftler wie Adalberto Veríssimo vom Amazonas-Forschungsinstituts Imazon wagen daher bereits die These, die illegale Jahresentwaldung im Amazonasraum könne dieses Jahr 6.000 km2 überschreiten. Für diese besorgniserregende Entwicklung macht der Wissenschaftler die rückwirkende Amnestie für illegale Entwaldung in großen Landwirtschaftsbetrieben verantwortlich. Seit August 2012 gilt das neue Waldschutzgesetz Código florestal, welches die Ausbreitung landwirtschaftlicher Nutzfläche zu Lasten des Walds in großem Stil forciert. Die Abholzung steigerte sich in der Flächensumme von 1.106 km2 (vor der Gesetzesänderung/August 2011 - Juli 2012) auf 1.855 km2 (nach der Gesetzesänderung/August 2012 - Juni 2013).
Das Vordringen der Agrarindustrie in den Amazonasraum birgt Konflikte mit traditionellen Völkern und Gemeinschaften, die im Bundesstaat Amazônia Legal auf teilweise nicht konsolidierten 1.250 Millionen Quadratkilometer[3] leben. Auch große Infrastrukturprojekte, wie der Ausbau der BR-163 und Wasserkraftwerke in Porto Velho (RO) und Altamira (PA) ziehen Millionen von Arbeitern in entlegene Regionen, was den Entwaldungsdruck dort deutlich erhöht. 63% des illegalen Holzeinschlags wurden bei privaten Eigentümern oder bei Landkäufen mit erwarteten Landtiteln beobachtet, 23% der Entwaldung in Ansiedlungen der Agrarreform, 14% in Schutzgebieten.
Auch der für Entwaldungsfragen zuständige Koordinator bei der Bundesumweltbehörde IBAMA George Ferreira bekannte bei der Bekanntgabe der Daten, dass die Entwicklung besorgniserregend sein. Aufmerksamkeit müsse man den festgestellten degradierten Flächen schenken. Hier ist die natürliche Vegetation bereits angegriffen, es handle sich aber nicht durchweg um Kahlschlagflächen. Man müsse hier gezielt die Naturverjüngung fördern, die auf diesen Flächen noch Potential böte, dem Waldverlust entgegenzuwirken.
Im letzten halben Jahr habe die IBAMA Strafen in Höhe von 1,7 Milliarden Reais (eine halbe Milliarde Euro) gegen illegalen Holzeinschlag verhängt und 236.000 Hektar illegal gerodete Flächen aus der Nutzung genommen.
Nach der Änderung des brasilianischen Waldschutzgesetzes Código Florestal im vergangenen Jahr hatten Umweltschützer_innen einen Anstieg der Entwaldung vorhergesagt. Die Regierung war Grundstückseigner_innen entgegengekommen, die ihre landwirtschaftlichen Flächen zu Lasten des Waldes ausgedehnt hatten. Dies wurde als Signal gewertet, dass der Walderhalt bei der Regierung nicht die oberste Priorität habe. Neben dieser Aufwertung der Agrarinteressen forciert die Regierung große Infrastrukturprojekte im Amazonasgebiet und ist daher über Staudamm- und Straßenbauten selbst für großflächige Rodungen verantwortlich.
Um die Entwicklung nach der Änderung des Código florestal zu beobachten, haben sich sieben Nichtregierungsorganisationen zusammengeschlossen und das Observatório do Código Florestal gegründet[4]: Instituto Socioambiental (ISA), Instituto de Pesquisa Ambiental da Amazônia (Ipam), WWF Brasil, SOS Mata Atlântica, Instituto Centro de Vida (ICV), Conservação Internacional (CI) und The Nature Conservancy (TNC). Die Umweltorganisationen stellen fest, dass Bundes- und Landesregierungen ein Jahr nach Änderung des Waldschutzgesetzes erst wenig umgesetzt haben. Ein Flächenkataster (Sistema de Cadastro Rural SiCAR) sollte geschaffen werden. Agrarbetriebe müssen sich dort registrieren lassen. Bislang hat dieser Prozess nicht begonnen, weil die Strukturen noch nicht vorhanden sind. Der Flächenkataster soll Informationen von ca. 5,3 Millionen landwirtschaftlichen Betrieben in über 5.000 Landkreisen zusammenführen

Endnoten:
[1] http://www.estadao.com.br/noticias/geral,desmatamento-sobe-35-de-agosto-a-maio,1050799,0.htm
[2] http://www.inpe.br/noticias/noticia.php?Cod_Noticia=3325
[3] http://oglobo.globo.com/pais/desmatamento-cresceu-437-na-amazonia-no-mes-de-junho-9080293
[4] http://www.florestafazadiferenca.org.br/ultimas-noticias/sociedade-civil-lanca-observatorio-do-codigo-florestal/