Agrarreform unter dem Druck der Agrotreibstoffe

Bereits während seiner ersten Regierungsperiode hatte Lula gezögert, die Agrarreform im Sinne einer strukturellen Veränderung der Bodenbesitzverhältnisse in Angriff zu nehmen.
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Schon im November 2005 kam der (nicht verabschiedete) Abschlussbericht zur CPI da Terra von João Alfredo (PSOL) zu dem Schluss, dass die Regierung Lula gerade bei strukturellen Veränderungen weit hinter ihren Zielen zur Agrarreform zurückgeblieben war. Noch im Nationalen Agrarreformplan von 2003 wurden Enteignungen aus sozialen Gründen als das wichtigste Instrument der Agrarreform bezeichnet. Aber bis Ende 2005 siedelte Lula lediglich 30 Prozent der Familien auf enteignetem Land an. Die meisten Angesiedelten kamen auf vormalig öffentlichem Land oder auf über das Programm „Crédito Fundiário“ selbst gekauftem Land unter. Enteignungen unproduktiver Ländereien für die Zwecke der Agrarreform versuchte Lula bei seiner Ansiedlungspolitik möglichst zu vermeiden. Er kommt während seines ersten Mandats auf einen Durchschnitt von 600.000 Hektar pro Jahr und liegt damit wenig höher als sein Vorgänger Fernando Henrique Cardoso, der während seiner letzten drei Regierungsjahre durchschnittlich 465.000 Hektar enteignete.

Noch weniger Enteignungen…

Im Jahr 2007 werden Enteignungen nun gar zur Mangelware: So wurden 2007 62 Prozent weniger Flächen enteignet als im Vorjahr; insgesamt nur gut 200.000 Hektar. Dies geht zum Teil auf eine den Großgrundbesitzern gegenüber extrem freundlich eingestellte Justiz zurück. So sind derzeit 157 Enteignungsprozesse aus unterschiedlichen Gründen suspendiert. Größeren Anteil daran aber dürfte die „konservative Modernisierung“ (Thomas Fatheuer) haben, die der brasilianische Agrarsektor gerade durchlebt: Unproduktive Latifundien werden im Zuge des Agrotreibstoffbooms in hochproduktive Betriebe verwandelt, wobei die Besitzverhältnisse unangetastet bleiben.

Im Rückblick auf das Jahr 2007 spricht die CPT von einer totalen Lähmung des Agrarreforminstituts INCRA, was die Agrarreform quasi verhindere; Fortschritte mache nach wie vor lediglich das marktgestützte Agrarreformprogramm „Crédito Fundiário“, das keine strukturellen Änderungen mit sich bringt. „Die Agrarreform ist von der Tagesordnung verschwunden“, zu diesem Schluss kommt im September 2007 auch Pedro Ribeiro in seiner Analyse der politischen Situation.

… dafür mehr Vertreibungen…

Zur gleichen Zeit lässt sich ein Anstieg der vertriebenen Familien von gut 1.600 (2006) auf 2.700 (2007) beobachten (Diese und die folgenden Zahlen stammen aus dem Bericht der CPT: Dados parciais de conflitos no campo vom 10. Dezember 2007) . Dabei fällt auf, dass dieser Anstieg fast ausschließlich auf Vertreibungen im Mittleren Westen, Südosten und Süden des Landes zurückgeht – Gebiete also, in denen derzeit die Expansion des Zuckerrohrs besonders stark stattfindet. Im Mittleren Westen, hier insbesondere in Mato Grosso do Sul und Goiás, gab es zudem einen rasanten Anstieg sowohl der angezeigten Fälle von Sklavenarbeit als auch der Anzahl der Betroffenen – bei landesweit sinkenden Zahlen. Und betrachtet man die regionale Verteilung der Landkonflikte, zeigt sich, dass es im Südosten entgegen dem landesweiten Trend mehr Landkonflikte gab als 2006, und auch etwa 50 Prozent mehr davon betroffene Familien. Die Zahl der ermordeten Indigenen stieg innerhalb eines Jahres von 48 auf 76, davon 48 in der Soja-Region Mato Grosso. Diese Morde sind vor allem auf Landkonflikte mit großen Fazendas zurück zu führen. Auch hier sieht man deutlich die Auswirkungen des Agrotreibstoffbooms, der zu einer zunehmenden Inwertsetzung bislang vernachlässigter Ländereien führt.

… und großflächige Monokulturen

Brasilien befindet sich in einem Prozess des Wachstums von Monokulturen in den Händen des Agrobusiness: Soja, Zuckerrohr, Viehweiden und Waldmonokulturen sind allesamt auf dem Expansionskurs – und bei ihnen handelt es sich ausnahmslos um Produktionen, die erst im großen Stil gewinnbringend sind. Die derzeitige gesamte Anbaufläche Brasiliens beträgt 62 Millionen Hektar. Annahmen wie bspw. die des ehemaligen Agrarministers Rodrigues, die Anbaufläche ließe sich auf 152 Mio Hektar ausdehnen, teilen wichtige Forschungsinstitute des Agrobusiness wie das Institut PENSA von der USP nicht. Das NIPE (Interdisziplinäres Institut für Energieplanung der Universität Campinas) hält eine Ausweitung der Zuckerrohrflächen bis 2025 auf 30 Mio Hektar für möglich und realistisch. Die Sojaproduktion hat mit ihren heute etwa 22 Mio Hektar ebenfalls noch Aussichten auf Steigerungen, v.a. aufgrund des Rückgangs der Sojaproduktion in den USA. Diese drei Monokulturen zusammen übersteigen in ihrem zukünftigen Flächenbedarf die heutige Anbaufläche Brasiliens. Die Viehwirtschaft hat bereits heute einen weiteren Flächenverbrauch von 200 Mio Hektar. Für eine Agrarreform ist da schon rein arithmetisch kein Platz mehr.

Agrarreform adieu – zum Nutzen kleinbäuerlicher Landwirtschaft?

Und so wundert es dann auch fast nicht mehr, dass die Agrarreform in der Botschaft des Präsidenten an den Nationalkongress zum Mehrjahresplan 2008 bis 2011 und dem Jahreshaushalt 2008 gar nur noch als Fußnote erscheint. Offensichtlich wendet sich Lula zunehmend von der Bodenfrage über Agrarreform und Enteignung ab. Und so stagnieren auch die hierfür eingeplanten Finanzen und Ziele. Auch das Gesetzesvorhaben, das vorsieht, Fazendas zu enteignen, auf denen Sklavenarbeit stattfindet, wird nicht erwähnt, ebenso wenig wie die Aktualisierung der aus dem Jahr 1975 stammenden Produktivitätszahlen für Enteignungen.

Das neue Entwicklungsmodell der Regierung betont die Gleichzeitigkeit von kleinbäuerlicher Familienwirtschaft und Agrobusiness. Von Agrarreform ist keine Rede mehr. Statt Mitteln für eine Agrarreform sieht der Mehrjahresplan vor, die Förderung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft und vor allem das Biodieselprogramm auszuweiten. Bis 2011 sollen 348.000 Familien an der Biodiesel-Produktionskette beteiligt sein.

Doch gibt es inzwischen bereits Indizien, dass es für die großen Abnehmer – und die Hersteller von Agrotreibstoff sind bislang fast sämtlich Großunternehmen – wirtschaftlich gar nicht interessant ist, mit der kleinbäuerlichen Familienlandwirtschaft zu kooperieren. So wurde das Unternehmen Ponte de Ferro jüngst vom Sozialsiegel ausgeschlossen, da es nicht die vereinbarten Rohstoffmengen von Kleinbauern bezieht. Ponte de Ferro ist darüber gar nicht so unglücklich: Die Gesellschaft hat das Programm evaluiert und kam zu dem Schluss, dass es für sie einfach nicht lohne. Bei den Kleinbauern seien die Rohstoffpreise zu hoch. Auch Soyminas könnte in Zukunft das Sozialsiegel verlieren.

Vorwürfe wurden jüngst auch gegen Brasil Ecodiesel laut, die mit Kleinbauern als Rohstoffproduzenten für Agrotreibstoffe zusammenarbeitet. Nach Aussagen eines Landarbeiters des Modellprojekts Fazenda Sta. Clara entsteht durch die Kooperation eine finanzielle Abhängigkeit, die die Familien zu Geiseln des Unternehmens mache. Um die Produktionskosten decken zu können, müsste jede Familie 4.500 Kilo Rizinus auf 5 Hektar Land ernten, die Ernte ergebe jedoch maximal 1.500 Kilo. So befänden sich die Landarbeiter in einem Prozess sukzessiv steigender Verschuldung gegenüber der Brasil Ecodiesel. Auch dies ist wieder ein Hinweis darauf, dass die Kleinbauern mit dem Agrobusiness nicht konkurrieren können.

Ob also die Kleinbauern den Prozess des Wachstums von Monokulturen tatsächlich überleben werden, ist mehr als fraglich.