Agrarreform: ein unerfülltes Versprechen

Die Forderung nach Agrarreformen ist nicht neu. Schon während der mexikanischen Revolution zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts schlossen sich Tausende dem Ruf des legendären Bauernführers Emiliano Zapata nach „Land und Freiheit“ an.
| von FIAN Deutschland

Die Beseitigung der in der Conquista (Eroberung) wurzelnden ungerechten Landverteilung ist seither ein wichtiges Motiv aller Befreiungsbewegungen in Lateinamerika und anderen Teilen der Welt. Während manche Agrarreformen aus unmittelbar sozialen, mitunter sozialistischen Revolutionen (wie z.B. in China, Kuba und Nicaragua) hervorgingen, können andere wiederum im Kontext des Kalten Krieges teilweise als Antwort auf revolutionäre Bedrohungen verstanden werden (Japan, Taiwan, Süd-Korea, Kolumbien, Honduras u.a.). Je nach historischem Kontext und geographischen, sozialen und politischen Voraussetzungen unterscheiden sich Agrarreformen in ihrer Zielsetzung und konkreten Ausgestaltung.

Im Zentrum von Agrarreformprogrammen steht im allgemeinen das Bemühen um eine Umverteilung von Großgrundbesitz an landlose oder landarme Bauernfamilien, PächterInnen und LandarbeiterInnen. Dies geschieht durch staatlichen Aufkauf oder Enteignung von Ländereien, deren Ausdehnung eine bestimmte Obergrenze (englisch: ceiling, spanisch: sobretecho) überschreitet und/ oder die brachliegen. Die Enteignungsoption gründet – ebenso wie etwa die progressive Besteuerung von Einkommen - auf der Vorstellung von der sozialen Funktion des Eigentums und ist in den Agrarreformgesetzgebungen und/ oder Verfassungen Brasiliens, Honduras, der Philippinen und anderer Länder ausdrücklich verankert. Der enteignete Großgrundbesitzer erhält in vielen Ländern eine „angemessene“, im allgemeinen unter dem Marktwert des Landes liegende Entschädigung. In den Genuss der Umverteilung kommen bevorzugt Pächterfamilien und Gemeinschaften, die das Land mitunter seit Generationen in einem quasi feudalen Abhängigkeitsverhältnis zum Vorteil des Großgrundbesitzers bearbeiten. Auch LandarbeiterInnen haben einen Anspruch auf eigenes Land. Gesonderte Gesetze regeln den Landbesitz indigener Gemeinschaften, die aufgrund fehlender Landtitel besonders gefährdet sind, von ihrem traditionellen Territorium vertrieben zu werden. Ein großer Mangel bisheriger Agrarreformengesetze besteht in der Benachteiligung von Frauen bei der Vergabe oder auch Vererbung von Landtiteln.

Agrarreformen dürfen sich allerdings nicht auf die Umverteilung von Land beschränken. Zu der Landreform muss eine Landbewirtschaftungsreform treten, welche auf eine Verbesserung der Produktions- und Handelsbedingungen von Kleinbauern abzielt. Die Sicherstellung der Kontrolle über andere produktive Ressourcen wie Wasser, Holz und Saatgut und der Zugang zu günstigen Krediten, Infrastruktur, Transportmitteln und Fortbildungsmaßnahmen sind wichtige Voraussetzungen dafür, dass Kleinbauernbetriebe überleben und die Ernährung der Familien und der lokalen Bevölkerung garantieren können. Auch die Handels- und Steuerpolitiken müssen den Schutz und die Förderung von Kleinbauern zum Ziel haben. Diese notwendigen Komponenten umfassender Agrarreformen sind in der Vergangenheit meistens sträflich vernachlässigt worden.

Die Resultate bisheriger Agrarreformen sind von Fall zu Fall sehr unterschiedlich zu bewerten. Von großem Erfolg gekrönt waren in erster Linie die Agrarreformen in China, Japan, Taiwan, Südkorea und Kuba. Gemeinsam ist diesen Agrarreformen, dass sie zur Enteignung und Umverteilung jeweils des größten Teils der landwirtschaftlicher Nutzflächen führten, dass jeweils die Mehrheit der Bauern in ihren Genuss kam und dass die Macht der Großgrundbesitzer auf dem Lande dadurch nachhaltig gebrochen wurde. Bei allen Unterschieden und Schattenseiten konnten in allen Fällen bedeutsame Erfolge in der Armuts- und Hungerbekämpfung erzielt werden. Darüber hinaus legte die Umverteilung in diesen Ländern langfristig den Grundstein für eine eigenständigere wirtschaftliche Entwicklung und Industrialisierung, deren Erfolge nicht zuletzt auf der gestiegenen Binnennachfrage beruhte.

Viele Agrarreformen sind auf der anderen Seite aufgrund des Widerstands von Großgrundbesitzern und des mangelnden politischen Willens von Regierungen auf halbem Wege steckengeblieben und haben die Erwartungen und Bedürfnisse der abhängigen Bäuerinnen und Bauern nicht erfüllt. Wie der 1994 entbrannte Aufstand der mexikanischen Zapatisten und das rasche Anwachsen der brasilianischen Landlosenbewegung MST, aber auch die gewaltsamen Auswüchse in Zimbabwe zeigen, ist die Agrarreform heute genau so aktuell und brisant wie vor hundert Jahren. Für viele Hungernde bieten Agrarreformen den einzigen Ausweg aus der Misere. Für die Bekämpfung des Hungers sind Agrarreformen eine wichtige Voraussetzung. Ernährungssicherung, Armutsbekämpfung, soziale Gerechtigkeit, Demokratisierung und die Gleichstellung der Geschlechter sind in den Ländern des Südens ohne Agrarreformen undenkbar.